Das Flüstern der Nacht
um nutzbar gemachten Magnetismus handelte, im Grunde nichts anderes als Wind oder Wasser, natürliche Energien, mit denen man Mühlen antrieb.
Keerin lotste ihn in einen Raum, der luxuriös mit Samtstoffen und einem Kamin ausgestattet war, der eine wohlige Wärme abstrahlte. An den Wänden zogen sich Bücherregale entlang, und ein Schreibtisch aus Mahagoni schmückte das Zimmer. Wäre er allein gewesen, hätte ihm das Warten nichts ausgemacht.
Aber Keerin hatte anscheinend nicht vor zu gehen. Er ging zu einem silbernen Service, schenkte gewürzten Wein in Pokale, und reichte dem Tätowierten Mann einen. »Auch ich habe mit einigem Erfolg gegen Dämonen gekämpft. Vielleicht kennst du das Lied, das ich darüber komponiert habe? Es trägt den Titel ›Einarm‹.«
Der junge Arlen hätte bei dieser Anmaßung vor Wut gekocht; noch immer heimste Keerin den Ruhm für etwas ein, das er, Arlen, geleistet hatte. Doch der Tätowiere Mann war über so etwas erhaben. »Ja, dieses Lied habe ich in der Tat gehört«, erwiderte er und klopfte dem hochgewachsenen Jongleur auf die Schulter. »Ich fühle mich geehrt, einen so tapferen Mann zu treffen. Komm heute Nacht mit mir hinaus, dann zeigen wir einem Rudel Felsendämonen die Sonne!«
Keerin erbleichte bei diesem Vorschlag. Der Tätowierte Mann lächelte im Schatten seiner Kapuze. Vielleicht war er doch nicht ganz über so etwas erhaben.
»Ich … äh … bedanke mich für das Angebot«, stammelte Keerin. »Und natürlich wäre es mir eine Ehre, dich zu begleiten, aber meine Pflichten dem Herzog gegenüber gestatten mir keine solchen Abstecher.«
»Ich verstehe«, entgegnete der Tätowierte Mann. »Wie gut, dass du nicht so gebunden warst, als du dem jungen Burschen aus dem Lied das Leben gerettet hast. Wie hieß er doch gleich noch?«
»Arlen … ahem … Heuballen«, antwortete Keerin und gewann mit einem einstudierten Lächeln seine Fassung wieder. Er kam näher, legte dem Tätowierten Mann eine Hand um die Schulter und raunte ihm zu: »Von einem Dämonenkämpfer zum anderen, es wäre mir eine Ehre, deine Taten in einem Lied zu verewigen, wenn du mir nach der Audienz mit dem Herzog ein kurzes Gespräch gewähren würdest.«
Der Tätowierte Mann drehte sich zu ihm um und hob den Kopf, so dass das lektrische Lampenlicht in seine Kapuze fiel. Keerin keuchte auf, ließ seinen Arm wieder sinken und rückte abrupt von dem Tätowierten Mann ab.
»Ich töte keine Dämonen, um Ruhm anzuhäufen, Jongleur«, knurrte er und trat auf den erschrockenen Herold zu, der zurückwich, bis er mit dem Rücken gegen ein Bücherregal prallte und es zum Wanken brachte. »Ich töte Dämonen«, er beugte sich dicht an ihn heran, »weil sie den Tod verdienen !«
Keerins Hand zitterte und er verschüttete seinen Wein. Der Tätowierte Mann trat einen Schritt zurück und lächelte. »Vielleicht könntest du darüber ein Lied schreiben«, regte er an.
Keerin ging immer noch nicht, aber der Herold hüllte sich von nun an in Schweigen, wofür der Tätowierte Mann dankbar war.
Euchors große Halle wirkte kleiner, als der Tätowierte Mann sie in Erinnerung hatte; dennoch bot sie ein imposantes Bild mit ihren schlanken Säulen, die eine Decke trugen, die unwirklich hoch erschien. Sie war so bemalt, dass sie einem blauen Himmel mit einer
gelbweiß strahlenden Sonne glich. Mosaiken bedeckten den Boden, und an den Wänden hingen Gobelins. Der Platz reichte aus, um eine große Menschenmenge zu fassen, und der Herzog gab hier sehr viele Bälle und Festlichkeiten, die er von seinem erhöht stehenden Thron am Ende des Saals aus beobachtete.
Als der Tätowierte Mann sich ihm näherte, wartete Herzog Euchor auf seinem Thron auf ihn. Hinter ihm auf dem Podest standen drei Frauen, deren reizlose Gesichter, die dem des Herzogs unvorteilhaft ähnelten, und die teuren, mit Juwelen überladenen Gewänder nur den Schluss zuließen, dass sie seine Töchter waren. Mutter Jone hatte sich am Fuß der Treppe, die auf das Podest führte, postiert, ausgerüstet mit einer Schreibtafel und einem Stift. Ihr gegenüber befanden sich die Gildemeister Ragen und Malcum. Die Männer, beide ehemalige Kuriere, standen dicht nebeneinander. Ragen wisperte Malcum etwas zu, der gluckste und sofort von Jone mit einem empörten Blick abgestraft wurde.
Neben Jone stand Fürsorger Ronnell, der Herzogliche Bibliothekar. Merys Vater.
Insgeheim verwünschte sich der Tätowierte Mann. Er hätte damit rechnen müssen, Ronnell zu begegnen.
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