Das Flüstern der Nacht
setzte sie den Jungen einfach in ihre Armbeuge und steckte einen Fingerknöchel in seinen Mund. Der Kleine war sofort still und fing gierig an zu saugen.
»Dem Jungen fehlt nichts«, erklärte sie. »Er spürt nur die Angst seiner Mutter.«
Die Frau entspannte sich merklich und atmete erleichtert auf.
»Was ist geschehen?«, wiederholte Leesha ihre Frage.
»Die Krasianer«, lautete die knappe Antwort.
»Beim Schöpfer, so schnell sind sie nach Lakton marschiert?«, staunte Leesha.
Die Frau schüttelte den Kopf. »Sie haben sich über die Dörfer von Rizon verbreitet, zwingen die Frauen, ihnen zu dienen, und schleppen die Männer mit, wenn sie gegen Dämonen kämpfen. Sie suchen sich rizonische Mädchen aus, um sie zu ihren Ehefrauen zu machen, wie ein Bauer ein Huhn zum Schlachten auswählt. Die Jungen sperren sie in Ausbildungslager ein, wo ihnen beigebracht wird, ihre eigenen Familien zu hassen.«
Leesha war entsetzt.
»In den Weilern ist niemand mehr sicher«, fuhr die Frau fort. »Wer konnte, ist direkt nach Lakton weitergezogen, und ein paar blieben auch daheim, um ihre Häuser zu verteidigen, aber der Rest von uns brach ins Tal auf, um den Erlöser zu suchen. Dort war er aber nicht, doch man sagte uns, er sei nach Angiers geritten, und deshalb wollen wir auch dorthin. Er wird alles wieder ins rechte Lot bringen, wart’s nur ab.«
»Wir alle erhoffen uns von ihm Hilfe«, seufzte Leesha, ohne sich ihre Zweifel anmerken zu lassen. Sie gab der Frau das Baby zurück und kletterte wieder auf den Karren.
»Wir müssen schleunigst das Tal erreichen«, sagte sie zu den anderen und warf Gared einen auffordernden Blick zu. Der hatte verstanden.
»Gebt die Straße frei!«, donnerte der riesenhafte Holzfäller, und es klang wie das Gebrüll eines Löwen. Die Leute stolperten beinahe übereinander in ihrer Hast, ihm aus dem Weg zu springen, als er mit seinem schweren Ross auf sie zu trabte. Zelte, Decken und Siegel wurden hektisch eingesammelt. Leesha tat es leid, die Menschen derart scheuchen zu müssen, aber der Karren konnte nicht abseits der Straße fahren, und ihre Schützlinge daheim brauchten sie.
Als die Strecke endlich frei war von den Flüchtlingen, deren Zahl in die Tausende gehen musste, trieben sie die Pferde zu einem Galopp an, doch als sich die Nacht herabsenkte, waren sie immer noch ein gutes Stück vom Tal entfernt. Doch ein milder Blick von Leesha reichte aus, und Rojer klemmte sich wieder die Fiedel unters Kinn. Sie zogen durch die Dunkelheit, nur geleitet von Leeshas Lichtstab und geschützt durch Rojers Musik, die die Horclinge in Schach hielt.
Am Rand des Lichtkreises konnte Leesha die Dämonen sehen, die sich im Rhythmus der Melodie wiegten, während sie Rojer wie in Trance folgten.
»Mir wäre es lieber, sie würden angreifen«, bemerkte Wonda, die den Langbogen und einen Pfeil mit Siegeln bereithielt, um das Geschoss jederzeit von der Sehne schnellen zu lassen.
»Das ist widernatürlich«, pflichtete Gared ihr bei.
Gegen Mitternacht erreichten sie Leeshas Hütte am Rande des Tals; ihre Rast dauerte nur so lange, bis Leesha das Kostbarste ihrer Fracht verstauen konnte, dann preschten sie durch die Finsternis weiter ins eigentliche Dorf.
Vor ihrer Abreise hatten bereits beengte Zustände geherrscht, nun jedoch war die Lage wesentlich schlimmer. Die Flüchtlinge aus Lakton waren zwar besser ausgerüstet, mit Zelten, Bannzirkeln und geschlossenen Karren voller Vorräte, doch an nahezu jeder Seite der Bannzone verteilten sie sich über die Abgrenzungen und schwächten somit das Großsiegel.
Leesha wandte sich an Gared und Wonda: »Trommelt die anderen Holzfäller zusammen und patrouilliert um den Bannbereich. Jedes Zelt und jedes Fuhrwerk, die näher als zehn Fuß an der Grenze des Bannbereichs stehen, müssen versetzt werden. Andernfalls könnten Horclinge eindringen.«
Die beiden nickten und ritten los.
Nun richtete sie das Wort an Rojer: »Suche Smitt und Jona. Ich berufe noch in dieser Nacht den Stadtrat ein. Es kümmert mich nicht, wer schon im Bett liegt.«
Rojer nickte. »Wo ich dich finden werde, brauche ich wohl nicht zu fragen.« Er hüpfte vom Karren und stülpte sich die Kapuze seines Tarnumhangs über, während sie den Wagen wendete und zum Hospital fuhr.
Jardir sah hoch, als Abban in das Thronzimmer gehumpelt kam. »Heute wirkst du beinahe beschwingt, khaffit .«
Abban verneigte sich. »Die Frühlingsluft verleiht mir frische Kräfte, Shar’Dama Ka .«
Ashan
Weitere Kostenlose Bücher