Das Flüstern der Nacht
an.
»Du darfst nicht gehen«, verkündete sie.
Erbost sprang Jardir auf, trat ans Fenster und griff ärgerlich nach dem Vorhang. »Ich darf nicht?«, höhnte er, riss den schweren Stoff zur Seite und überflutete den Raum mit hellem Sonnenlicht. Inevera hatte kaum genug Zeit, ihre Würfel wieder in den Beutel zu stecken.
»Ich bin Shar’Dama Ka !«, betonte er. »Es gibt nichts, was ich nicht tun darf!«
Über Ineveras Gesicht huschte Wut, doch im Nu glätteten sich ihre Züge wieder. »Die Würfel prophezeien ein Unglück, wenn du gehst«, warnte sie.
»Ich bin es leid, mich nach deinen Würfeln zu richten«, knurrte Jardir. »Vor allen Dingen, weil sie dir immer mehr zu verraten scheinen als du mir preisgibst. Ich gehe!«
»Dann komme ich mit dir.«
Jardir schüttelte den Kopf. »Auf gar keinen Fall. Du bleibst hier und hältst unsere Söhne davon ab, sich gegenseitig umzubringen, während ich fort bin.«
Er ging zu ihr und packte ihre Schulter. »Doch bevor ich nach Norden aufbreche, will ich mich noch einmal an meiner Gemahlin laben.«
Inevera drehte sich; sie schien seinen Arm nur flüchtig anzutippen, aber einen Moment lang verloren seine Muskeln alle Kraft, und sie wich ihm aus. »Wenn du allein gehst, kannst du warten«, wies sie ihn mit einem grausamen Lächeln ab. »Dann hast du umso mehr Grund, lebendig zu mir zurückzukommen.«
Jardir kniff verstimmt die Lippen zusammen, aber er wusste, dass es keinen Zweck hatte, sie zu bedrängen, auch wenn er Shar’Dama Ka und ihr Gemahl war.
Wonda öffnete die Tür zu Leeshas Hütte und ließ Rojer und Gared hinein. Seit das Mädchen wusste, dass der Tätowierte Mann Gared dazu abkommandiert hatte, Rojer zu bewachen, bestand sie darauf, dasselbe für Leesha zu tun, und schlief nun jede Nacht in der Hütte. Leesha war dazu übergegangen, ihr Pflichten zuzuteilen, um das Mädchen ein wenig von sich abzulenken, aber Wonda verrichtete die Arbeit gern und Leesha musste zugeben, dass sie sich an ihre ständige Gegenwart gewöhnt hatte.
»Die Holzfäller sind mit dem Roden des Waldstücks fertig, auf dem das nächste Großsiegel angelegt werden soll«, berichtete Rojer, als sie sich an den Tisch setzten und Tee tranken. »Die Lichtung ist eine Quadratmeile groß, wie du es verlangt hast.«
»Das ist gut«, freute sich Leesha. »Wir können sofort mit dem Auslegen der Steine beginnen, um die Ränder des Siegels zu markieren.«
»In dieser Gegend wimmelt es von Baumdämonen«, meinte Gared. »Zu Hunderten tauchen sie auf. Das Roden hat sie angezogen wie ein Misthaufen die Fliegen. Ehe wir mit dem Bauen anfangen,
sollte sich die ganze Stadt daran beteiligen, sie auszumerzen.«
Leesha sah Gared prüfend an. Der riesenhafte Holzfäller brannte dauernd darauf, in die Schlacht zu ziehen, wie die eingedellten und zerschrammten Kampfhandschuhe an seinem Gürtel bewiesen. Aber sie war sich nicht sicher, ob er sich an dem Gemetzel und dem Sog der Magie berauschte oder ob er dadurch die Stadt zu retten glaubte.
»Er hat Recht«, meinte Rojer, als Leesha schwieg. »Wenn das Siegel zum Leben erwacht, werden die Dämonen an dessen Ränder getrieben. Dort werden sie sich zusammenballen und jeden töten, der versehentlich die Bannzone verlässt. Wir sollten sie lieber auf freiem Feld zur Strecke bringen, als sie später zwischen den Bäumen zu jagen.«
»So würde der Tätowierte Mann handeln«, pflichtete Gared ihm bei.
»Der Tätowierte Mann würde die Hälfte der Dämonen selbst töten«, erwiderte Leesha. »Aber er ist nicht hier.«
Gared nickte. »Deshalb brauchen wir ja deine Hilfe. Wir brauchen Donnerstöcke und flüssiges Dämonenfeuer. In rauen Mengen.«
»Ich verstehe.«
»Ich weiß, wie beschäftigt du bist«, fuhr Gared fort. »Die Herstellung können andere Leute übernehmen, wenn du ihnen die Rezeptur gibst.«
»Du willst, dass ich dir die Geheimnisse des Feuers verrate?« Leesha lachte bellend. »Eher würde ich dafür sorgen, dass dieses Wissen verlorengeht!«
»Wo ist der Unterschied zwischen diesen Dingen und meiner Axt, die durch Siegel verstärkt ist?«, erkundigte sich Gared. »Das eine vertraust du den Leuten an und das andere nicht?«
»Der Unterschied besteht darin, dass deine Axt nicht explodiert und alles in einem Umkreis von fünfzig Fuß zerstört, wenn sie dir
aus der Hand fällt oder du sie draußen in der Sonne liegen lässt«, erklärte Leesha. »Selbst meine eigenen Schülerinnen dürfen sich glücklich schätzen, wenn ich sie
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