Das Flüstern der Nacht
nichts«, erklärte Jardir. »Wir sind hier, um zu lernen, nicht, um zu kämpfen.« Er wusste, dass seinen Kriegern diese Antwort nicht gefiel, doch das kümmerte ihn nicht, denn zwei weitere Gestalten zogen sein Augenmerk auf sich. Die eine war eindeutig eine Frau; sie trug keine Waffe, nur einen kleinen
Korb. Die andere war viel größer und gekleidet wie ein Mann, und ausgerüstet war sie mit einem Bogen wie die übrigen Nordfrauen. Ihr Gesicht wies Dämonennarben auf.
Beide trugen prächtige Umhänge, die mit Hunderten von Siegeln bestickt waren, liefen unbehelligt von den alagai durch das Gemetzel, und die anderen Nordleute machten ihnen respektvoll Platz.
»Die alagai können sie nicht sehen, als trügen sie den Umhang des Kaji«, bemerkte Ashan.
Ein Dämon grub seine Krallen in die Brust eines Mannes; der schrie auf, stürzte zu Boden und verlor dabei seine Axt. Die beiden Frauen in den seltsamen Umhängen eilten zu dem Opfer hin; während die größere einen Pfeil in den Dämon jagte, kniete sich die schlankere neben den Mann. Sie streifte ihre Kapuze ab, und Jardir sah ihr Gesicht.
Sie war sogar noch schöner als Inevera, mit einer milchweißen Haut, die in scharfem Kontrast zu ihrem Haar stand, das schwarz war die der Panzer eines Felsendämons.
Die Frau riss das Hemd des Mannes auf und versorgte seine Wunde; ihre Leibwächterin stand neben ihr und erschoss jeden alagai , der sich zu nahe heranwagte.
»Eine Art dama’ting des Nordens?«, überlegte Jardir laut.
»Wohl eher das heidnische Zerrbild von einer«, meinte Ashan verächtlich.
Nach einer Weile gab die wunderschöne junge Frau ihrer Leibwächterin einen Befehl; die schlang ihren Bogen über die Schulter und hob den Verwundeten hoch. Eine Meute alagai blockierte den Rückweg, doch die dama’ting des Nordens griff in ihre Tasche und zog einen Gegenstand heraus. Feuer brannte in ihrer Hand, ein Funke entzündete das Ding und sie schleuderte es. Eine Explosion riss die alagai hinweg, die Einzelteile verteilten sich über den Boden, und die beiden Frauen eilten weiter, als sei nichts geschehen.
»Auch wenn diese Nordleute Heiden sind«, meinte Jardir, »so verfügen sie doch über Macht.«
»Die Männer müssen noch jämmerlichere Feiglinge sein als khaffit , wenn sie sich von Frauen retten lassen«, höhnte Shanjat. »Ich würde eher auf dem Schlachtfeld sterben.«
»Nein«, widersprach Jardir, »die Feiglinge sind wir, wenn wir uns hier im Schatten verstecken, während die chin den alagai’sharak kämpfen.«
»Sie sind unsere Feinde«, gab Ashan zu bedenken.
Jardir sah ihn an und schüttelte den Kopf. »Am Tage vielleicht, aber in der Nacht sind alle Männer Brüder.« Er zog seinen Nachtschleier über Mund und Nase, hob seinen Speer und stieß einen Kriegsschrei aus, während er sich in das Kampfgetümmel stürzte.
Seine überrumpelten Männer zögerten kurz, dann stimmten auch sie ein Gebrüll an und stürmten vorwärts.
»Krasianer!«, kreischte Merrem, die Frau des Metzgers, und als Rojer überrascht hochblickte, sah er, dass sie Recht hatte. Dutzende von krasianischen Kriegern in schwarzer Tracht rannten schreiend auf die Lichtung und schwenkten ihre Speere. Das Blut gefror ihm in den Adern, und der Bogen rutschte von seiner Fiedel.
In diesem Moment hätte ein Dämon ihn beinahe getötet, doch Gared hackte den Arm, der nach ihm griff, glatt mit der Klinge ab.
»Achtet auf die Dämonen!«, brüllte Gared so laut, dass jeder Holzfäller ihn hören konnte. »Die Krasianer haben keinen mehr, gegen den sie kämpfen können, wenn wir den Horclingen ihre Arbeit überlassen!«
Doch sehr schnell stellte sich heraus, dass die Krasianer keineswegs die Absicht hatten, die Talbewohner anzugreifen. Angeführt von einem Mann mit einem weißen Turban und einem Speer, der aussah als bestünde er aus poliertem Silber, fielen sie über die Baumdämonen her wie ein Wolfsrudel, das in einen Hühnerstall einbricht, und schlachteten sie mit geübter Tüchtigkeit ab.
Der Anführer warf sich allein zwischen ein Rudel von Baumdämonen, doch seine Unerschrockenheit schien gerechtfertigt, denn er tötete sie genauso mühelos, wie der Tätowierte Mann es getan hätte; sein Speer wirbelte so schnell, dass die Konturen verschwammen, und er bewegte sich mit einer fast schon übermenschlichen Geschwindigkeit.
Die anderen Krieger verbanden ihre Schilde zu Keilformationen und mähten Dämonen nieder wie Sommergerste. Ein Trupp wurde von einem Mann in einer
Weitere Kostenlose Bücher