Das Flüstern der Nacht
wurden offengelegt und vervollständigt durch Zeichnungen von Maschinen, die mit Hilfe dieser Energien in präzise Tötungsinstrumente verwandelt werden konnten. Waffen, die nicht dazu dienten, Dämonen zu vernichten, sondern Menschen.
Sind die Horclinge daran schuld, dass die Menschen aussterben, fragte er sich, oder haben wir uns selber um ein Haar ausgerottet?
Als die Sonne tief über dem Horizont stand, entdeckte er an der Seite der Straße eine Burgruine. Einer von Euchors Vorgängern hatte hier eine Garnison unterhalten, doch die Festung war unter dem Ansturm von Dämonen gefallen und nie wiederaufgebaut
worden. Die meisten Kuriere glaubten, dass es an diesem Ort spukte, und machten um ihn einen großen Bogen. Ein verrostetes Tor hing verbogen in halbausgerissenen Angeln, und in der Außenmauer klafften große Löcher.
Er ritt in die Burg hinein und pflockte Schattentänzer in einem Bannzirkel an. Dann zog er sich bis auf sein Lendentuch aus und wählte einen Speer und einen Bogen. Als die Dunkelheit sich herabsenkte, stiegen die stinkenden Nebel zwischen den zerborstenen Steinen des Innenhofs empor. In Ruinen, die nicht durch Siegel geschützt waren, versammelten sich scharenweise Horclinge, denn ihr Instinkt sagte ihnen, dass wahrscheinlich eines Tages Beute hierher zurückkommen würde. Als die Siegel dieser Burg versagten, hatten fünfzig Männer den Tod gefunden; vermutlich waren sie von genau den Horclingen zerfetzt worden, die nun durch den Boden an die Oberfläche drangen. Die Opfer hatten es verdient, gerächt zu werden.
Der Tätowierte Mann wartete, bis die Dämonen ihn entdeckten und angriffen, bevor er seinen Bogen hob. Vorneweg stürmte ein Flammendämon, doch gleich sein erster Pfeil machte ihm den Garaus. Als Nächstes kam ein Felsendämon, den er mit mehreren Pfeilen niederstrecken musste.
Als der Felsendämon zu Boden stürzte, hielten die anderen Dämonen inne; einige wandten sich sogar zur Flucht, doch Siegelsteine, die der Tätowierte Mann rings um die Lücken in der Mauer und das Tor verteilt hatte, hielten sie bei ihm in der Burg gefangen. Als ihm die Pfeile ausgingen, griff er mit Speer und Schild an; zum Schluss warf er auch diese Waffen weg und kämpfte nur noch mit bloßen Händen.
Im Laufe der Nacht nahmen seine Kräfte zu, und er sog mehr und mehr Magie in sich auf. In seinem Tötungsrausch dachte er an nichts anderes als ans Kämpfen, bis er schließlich, besudelt von Dämonenblut, das auf seinen Siegeln zischte, keine Dämonen mehr fand, die er hätte töten können. Bald danach erhellte sich
der Himmel, und die wenigen noch verbliebenen Horclinge dünnten sich zu Nebel aus, um vor der Sonne zu flüchten, die diese Pest von der Oberfläche der Welt brannte.
Doch dann erreichte ihn das Licht, und es glühte wie Feuer auf seiner Haut. Die Strahlen stachen ihm in die Augen, er verspürte Schwindel und Übelkeit, und seine Kehle schmerzte. In der Sonne zu stehen war die schiere Qual.
Das war bereits früher passiert. Leesha behauptete, das Sonnenlicht verbrenne die überschüssige Magie, die sich in ihm angesammelt hatte, doch ein anderer Teil von ihm, der urtümliche Teil, der seine Instinkte steuerte, kannte die Wahrheit.
Die Sonne wies ihn ab. Er war dabei, sich in einen Dämon zu verwandeln, und gehörte nicht länger an die Oberfläche der Welt.
Der Horc rief nach ihm, lockte ihn mit dem Versprechen von Schutz. Seine von Siegeln umringten Augen sahen ganz deutlich die Pfade, die im Boden auftauchten wie Öffnungen, durch die Magie entweichen konnte, und alle sangen dasselbe Lied. Geborgen in der Umarmung des Horc, könnte die Sonne ihm nichts mehr anhaben.
Der Tätowierte Mann fing an, seine stoffliche Gestalt aufzulösen, und ließ einen kleinen Teil von seinem Wesen einen Pfad hinuntergleiten, um ihn auszuloten.
Nur ein einziges Mal, sagte er sich. Um nach einer Schwäche zu forschen. Um zu prüfen, ob man den Kampf dort hinuntertragen kann. Es war ein edelmütiger Gedanke, auch wenn er sich im Grunde selbst belog, denn er wurde auch noch von anderen Motiven angetrieben. Und anstatt neue, wichtige Erkenntnisse zu gewinnen, würde er höchstwahrscheinlich vernichtet werden.
Ohne mich ist die Welt sowieso besser dran.
Doch bevor er sich verflüchtigen und dem Lockruf des Pfades nachgeben konnte, gab es einen Knall und einen Lichtblitz, als einer der schwelenden Kadaver auf dem Hof von einem Sonnenstrahl
getroffen wurde und in Flammen aufging. Er sah hin und
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