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Das Flüstern der Nacht

Das Flüstern der Nacht

Titel: Das Flüstern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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habe ich gesagt?«
    »Meinen Namen«, erwiderte er nur.
    »Verzeihung. Hätte ich ihn nicht aussprechen dürfen? War das ungehörig von mir?«
    »Im Gegenteil. Er klingt wunderschön, wenn er über deine Lippen gleitet.«
    Ohne Schleier, der ihre Wangen verhüllt hätte, sah Jardir, wie ihre helle Haut sich rötete. Er hatte noch nie zuvor um eine Frau geworben, aber ihm schien, als lege Everam selbst ihm die Worte in den Mund.
    »Vor mehr als dreitausend Jahren«, fuhr er fort, »regierte mein Vorfahr Kaji dieses Land vom Südmeer bis hin zu der Einöde aus Schnee und Eis.«
    »So sagt es die geschichtliche Überlieferung«, stimmte Leesha zu. »Aber drei Jahrtausende sind eine sehr lange Zeit, und Berichte werden manchmal … ungenau.«
    »Vielleicht hier im Norden«, meinte Jardir. »Aber der Tempel Sharik Hora im Wüstenspeer ist sogar noch älter, und unsere Aufzeichnungen sind exakt. Kaji regierte über dieses Land, manchmal mit dem Speer, und manchmal, indem er mit seinen Stämmen Bündnisse einging und diese mit Blut besiegelte.«
    Er schaute in die Runde. »Kajis Blut ist hier immer noch stark zu spüren. Selbst der Name eures Dorfes, Tal des Erlösers, ehrt ihn. Ihr seid keine chin , die unterworfen werden müssen, sondern verlorene Brüder und Schwestern, die wir wieder in unsere Arme schließen wollen. Ich gebe euch den Namen Stamm der Talbewohner und verleihe euch sämtliche Rechte.«
    »Welche Rechte?«, fragte Leesha.

    Jardir griff in sein Gewand und zog seinen persönlichen Evejah heraus. Der Einband bestand aus feinem Leder mit eingestanzten Siegeln, und die Seiten waren vergoldet. Mit einem roten Band konnte man einzelne Stellen markieren. Die Blätter waren weich und dünn vom täglichen Gebrauch.
    »Diese Rechte«, erklärte er und gab ihr das Buch.
    Leesha nahm es entgegen wie jemand, der seinen Wert zu schätzen weiß, und Jardir fiel wieder ein, dass sie ja die Tochter eines Buchbinders war. Beinahe ehrfürchtig drehte sie es um und betrachtete den Rücken. Dann schob sie ihre Essschale zur Seite und breitete das Tuch, das auf ihrem Schoß gelegen hatte, über die Tischplatte aus, bevor sie das Buch darauflegte und anfing darin zu blättern.
    »Es ist wunderschön«, flüsterte sie nach einer Weile. »Doch so gern ich eure Sprache lernen würde, leider kann ich kein einziges Wort entziffern.« Vorsichtig klappte sie das Buch wieder zu und hielt es ihm entgegen.
    Jardir hob eine Hand. »Behalte es. Welches Buch wäre besser, um dir beim Erlernen unserer Sprache zu helfen? Die darin enthaltenen Wahrheiten entsprechen deinem eigenen Glauben vielleicht mehr, als du dir vorstellen kannst.«
    »Oh, das kann ich nicht annehmen!«, protestierte Leesha. »Das Buch ist viel zu wertvoll!«
    Jardir lachte. »Du gibst mir einen Umhang, der mit dem des Kaji zu vergleichen ist, und scheust davor zurück, dir ein Buch voller Wahrheiten schenken zu lassen? Ich kann ein neues schreiben.«
    Leesha warf einen Blick auf das Buch und sah dann wieder ihn an. »Du hast es selbst geschrieben?«
    »Mit meinem Blut«, bestätigte Jardir, »während der Jahre, in denen ich im Sharik Hora studierte.«
    Vor Staunen bekam Leesha große Augen.
    »Von Gold oder Juwelen verstehe ich nichts«, fuhr er fort. »Wenn ich könnte, würde ich dich damit überschütten, aber derlei
Tand habe ich nicht in den Norden mitgenommen. Dieses Buch ist mein kostbarster Besitz, nach meiner Krone, meinem Speer und dem neuen Umhang. Ich hoffe, dass du es annimmst, während Abban mit deiner Mutter den angemessenen Brautpreis aushandelt.«
    »Brautpreis?«, wiederholte Leesha verwirrt.
    »Selbstverständlich. Dein Vater hat mir erlaubt, um dich zu werben, und deine Mutter kümmert sich darum, dass der Preis für dich entrichtet wird. Haben deine Eltern dir denn nichts erzählt?«
    »Nein, verdammt nochmal, das haben sie nicht!«, rief Leesha und sprang so ungestüm auf, dass der Stuhl unter ihr wegrutschte. Im nächsten Moment standen alle auf den Beinen. Jardir verspürte einen Anflug von Angst. Er hatte sie beleidigt, aber ohne seinen Patzer zu kennen, konnte er sich nicht einmal entschuldigen.
    »Sohn des Horc!«, brüllte der Riese und schlug mit seiner gewaltigen Faust über dem Tisch nach Jardir.
    Jardir konnte sich nicht mehr erinnern, wann ein Mann das letzte Mal gewagt hatte, ihn zu schlagen. Hätten sie sich nicht an Meisterin Leeshas Tafel befunden, hätte Jardir ihn für diesen Affront getötet, aber da er mittlerweile wusste, wie sehr

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