Das Flüstern der Nacht
schenkte sie ein, dann stellte sie sich zu Amanvah, die an einer Wand Posten bezogen hatte und alles beobachtete. Leesha nippte an ihrem Tee, ließ ihn eine Weile im Mund kreisen und spuckte ihn in die Tasse zurück.
»Du hast eine Prise Nachtschattenpulver hineingetan«, wandte sie sich an Sikvah, während sie die Tasse abstellte. »Raffiniert. Die meisten Menschen hätten es nicht herausgeschmeckt, und bei dieser Dosierung hätte es Wochen gedauert, bis es mich getötet hätte.«
Rojer schnappte nach Luft und verschüttete seinen Tee. Leesha fing die Tasse auf, bevor sie auf dem Boden landete, fuhr mit dem Finger den Porzellanrand entlang und kostete von dem Rückstand. »Keine Sorge, Rojer. Anscheinend ist man nicht so erpicht darauf, dich loszuwerden.«
Vorsichtig setzte Abban seine Tasse auf dem Tisch ab. Amanvah sah ihn an und sagte etwas auf Krasianisch.
»Äh …«, wandte sich Abban an Leesha. »Du hast eine sehr schwerwiegende Anschuldigung erhoben. Möchtest du, dass ich übersetze?«
»Unbedingt«, lachte Leesha, »obwohl ich nicht daran zweifle, dass sie jedes Wort verstanden hat.«
Abban dolmetschte; Amanvah fing an zu kreischen, rannte zu Leesha und brüllte mit allen Anzeichen der Empörung auf sie ein.
»Die dama’ting nennt dich eine Lügnerin und eine Närrin«, erklärte Abban.
Lächelnd hielt Leesha ihre Tasse hoch. »Dann sag ihr, sie soll das trinken.«
Amanvah funkelte Leesha wütend an, als sie ihr die Tasse entriss, ohne auf eine Übersetzung zu warten. Der Tee war noch heiß, aber sie lüftete den Schleier und stürzte ihn in einem Zug herunter. Triumphierend starrte sie Leesha an, doch die behielt ihr vergnügtes Lächeln bei.
»Sag ihr, ich weiß, dass sie heute Abend das Gegengift nehmen kann«, bat sie Abban, »aber wenn es dasselbe ist, das wir im Norden benutzen, hat sie eine Woche lang blutigen Dünnschiss.« Aus dem schmalen Streifen Haut, der um Amanvahs Augen sichtbar war, wich jede Farbe, noch bevor Abban zu Ende übersetzt hatte.
»Wenn du das nächste Mal so etwas versuchst, erzähle ich es deinem Vater«, drohte Leesha. »Und wie ich ihn kenne, wird eure Blutsverwandtschaft ihn nicht davon abhalten, dir deine hübsche weiße Robe vom Körper zu reißen und dir das Fell zu gerben, falls er dich nicht gleich umbringt.«
Amanvah funkelte sie zornig an, aber Leesha wedelte nur lässig mit der Hand. »Geh jetzt!«
Amanvah zischte etwas. »Du hast nicht das Recht, uns wegzuschicken«, dolmetschte Abban.
Leesha wandte sich an Rojer, der aussah als müsse er sich übergeben. »Schick deine Bräute in ihre Gemächer, Rojer.«
»Haut ab!«, schnauzte Rojer mit einer ungeduldigen Geste. Dabei sah er die Mädchen nicht einmal an. Amanvahs Brauen
zogen sich unwillig zusammen, und sie schleuderte Leesha ein paar krasianische Worte an den Kopf, ehe sie davonstürmte, mit Sikvah im Schlepptau. Leesha merkte sich die Verwünschungen, um eventuell später selbst Gebrauch davon zu machen.
Abban lachte. »Kein Wunder, dass die Damajah dich fürchtet.«
»Mir kommt sie nicht gerade ängstlich vor«, wandte Leesha ein. »Es gehört eine Menge Mut dazu, mich mit einem derart plumpen Versuch vergiften zu wollen.«
»Nach Ahmanns letztem Beschluss bin ich alles andere als überrascht darüber«, gestand Abban. »Doch du solltest dir darüber im Klaren sein, dass man dir mit diesem Attentat eine ungeheure Ehre erweist. In Krasia heißt es, wenn niemand versucht, dich umzubringen, dann nur, weil es sich nicht lohnt, dich zu töten.«
»Vielleicht ist es an der Zeit, von hier zu verschwinden«, schlug Rojer vor, nachdem Abban gegangen war. »Sofern sie uns überhaupt gehen lassen.« Er konnte nicht leugnen, dass Amanvah und Sikvah für ihn eine Versuchung dargestellt hatten, nun jedoch plagten ihn Fantasien von Messern, die sie unter den weichen Seidenkissen ihrer Gemächer versteckt hatten.
»Ahmann würde uns sicher abreisen lassen, wenn ich ihn darum bitte«, behauptete Leesha, »aber ich habe die feste Absicht, hierzubleiben.«
»Leesha, sie haben versucht, dich zu ermorden!«, ereiferte sich Rojer.
» Inevera hat es versucht und ist gescheitert«, stellte sie richtig. »Wenn ich jetzt gehe, hätte sie genauso gesiegt wie im Falle meines Todes. Ich denke nicht daran, die Flucht zu ergreifen vor dieser … dieser …«
»Hexe?«, schlug Rojer vor.
»Hexe!«, stimmte Leesha zu. »Sie hat viel zu viel Einfluss auf Ahmann. Er leiht mir sein Ohr, und auf dieses Privileg werde
Weitere Kostenlose Bücher