Das Flüstern der Nacht
Augen. »Dann darf ich mich ja wohl glücklich schätzen, eines Tages zu Ahmanns Legehennen zu gehören.«
»Immer noch besser als das Huhn zu sein, das geschlachtet wird«, gab Elona zurück.
Sie erreichten Leeshas Gemächer, und Elona folgte ihr hinein. Leesha ließ sich auf einen mit Kissen bedeckten Diwan fallen und stützte ihren Kopf in die Hände. »Ich wünschte, Bruna wäre hier. Sie wüsste, was zu tun ist.«
»Sie würde Jardir heiraten und ihn zähmen«, erklärte Elona. »Ich bin bei dieser elenden alten Vettel in die Lehre gegangen, da warst du noch nicht einmal geboren, und selbst damals lebten nur noch ganz wenige Leute, die sich noch an die Zeit erinnern konnten, als Bruna jung war. Sie machte für jeden die Beine breit, hieß es, bis sie in späten Jahren heiratete, und als ledige Frau hatte sie die Stadt sogar noch fester im Griff als im Alter. Sie führte die Leute viel straffer als du, denn sie setzte nicht nur das hier ein«, Elona tippte Leesha an die Stirn, »sondern auch das .« Mit dem Finger deutete sie auf ihren eigenen Schritt. » Hier liegt die Macht einer Frau, nicht nur im Kräutersammeln, und nur eine Närrin verzichtet darauf, sie zu ihrem Vorteil einzusetzen.«
Leesha lag ein Protest auf der Zunge, aber ihre Mutter hatte nicht ganz Unrecht, und ihr fiel kein Gegenargument ein. Bruna war eine schmuddelige alte Frau gewesen, voll vulgärer Witze und Anekdoten aus ihrer wilden Jugend, als sie nichts hatte anbrennen
lassen. Viele dieser Geschichten hatte Leesha nicht geglaubt und angenommen, die Alte ergötze sich daran, andere Leute zu schockieren, doch jetzt war sie sich nicht mehr so sicher.
»Wie sollte ich meine Weiblichkeit nutzen?«, fragte sie.
»Jardir ist verrückt nach dir«, erwiderte Elona. »Das sieht jede Frau auf den ersten Blick. Deshalb fürchtet Inevera dich. Und weil dieser Mann so besessen von dir ist, bietet dir das die perfekte Gelegenheit, die Wüstenschlange beim Hals zu packen und von unseren Leuten wegzulenken.«
»Meine Leute«, sinnierte Leesha. »Das Tal.«
»Selbstverständlich das Tal!«, blaffte Elona. »Rizons Sonne ist untergegangen, daran lässt sich nichts mehr ändern.«
»Und was wird aus Angiers?«, warf Leesha ein. »Lakton? Den vielen Dörfern, die zwischen Rizon und diesen Städten liegen? Das Tal kann ich vielleicht beschützen, aber was könnte ich für die anderen tun?«
»Von Jardirs Bett aus eine ganze Menge«, versicherte Elona. »Gibt es einen Ort auf der Welt, von dem aus du den Krieg besser beeinflussen könntest? Befriedige die Lust eines Mannes, und er gibt dir alles, was du von ihm verlangst. Dir mit deinem ach so scharfen Verstand werden doch wohl noch ein paar Dinge einfallen, um die du ihn bitten könntest. Auf diese Weise könnte es dir sehr wohl gelingen, das Schlimmste abzuwenden.«
Sie beugte sich zu Leesha herunter und brachte ihre Lippen dicht an ihr Ohr heran. »Oder wäre es dir lieber, wenn Inevera ihm Ratschläge zuflüstert, bevor er nachts einschläft?«
Es war eine entsetzliche Vorstellung; Leesha schüttelte den Kopf, doch sie war noch nicht überzeugt.
»Die Pforten des Himmels liegen nicht zwischen deinen Beinen, Leesha«, betonte ihre Mutter. »Ich weiß, dass du dich für deine Hochzeitsnacht aufsparen wolltest, und offen gestanden hatte ich mir für dich dasselbe gewünscht. Aber es kam nun mal anders, und das Leben geht weiter.«
Leesha musterte ihre Mutter prüfend; trotzig erwiderte Elona ihren Blick, bereit, jedes ihrer Worte zu verteidigen.
»Die siehst die Welt, wie sie wirklich ist, Mutter. Nüchtern und ungeschönt«, meinte sie schließlich. »Manchmal beneide ich dich darum.«
Elona war ehrlich verblüfft. »Tatsächlich?«, staunte sie.
Leesha lächelte. »Ja, tatsächlich! Aber nicht sehr oft, merk dir das.«
30
Entfesselt
333 NR - Sommer
R enna wartete geduldig ab, während der Felsendämon eine feste Gestalt annahm. Sie hatte ihr Versteck gut gewählt, in der Krone des einzelnen hohen Baums auf der Spitze eines Hügels, wo ein gewaltiger Felsbrocken aus dem Boden ragte wie ein gebrochener Knochen, der sich durch Fleisch bohrt.
Das Muster der Spuren im Boden verriet ihr, dass der gigantische, ein paar Dutzend Fuß große Horcling beinahe jede Nacht an dieser Stelle auftauchte. Während der letzten sechs Wochen hatte Arlen ihr eine Menge beigebracht; von ihm wusste sie, dass Felsendämonen gern an alten Gewohnheiten festhielten, und dass kleinere Dämonen die Stellen
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