Das Flüstern der Nacht
Schauspiel; jeder Schlag mit dem alagai -Schwanz hinterließ blutige Striemen auf dem Rücken der Opfer. Jardir versetzte nacheinander jedem Mann einen Hieb, um dann zum ersten zurückzukehren und von vorn anzufangen. Leesha wusste nicht, ob das aus Rücksichtnahme geschah, oder verhindern sollte, dass die malträtierten Körperstellen taub wurden. Bei jedem Schlag zuckte sie zusammen und fühlte sich als hätte er sie selbst getroffen. Tränen strömten über ihr Gesicht, und als sich die Rücken der Männer in riesige offene Wunden verwandelten, die die Rippen freilegten, wäre sie am liebsten weggelaufen. Keiner der Bestraften stieß auch nur einen einzigen Schrei aus oder war so vernünftig, umzufallen.
Einmal wandte sie den Blick ab und sah Inevera, die diese Tortur mit äußerster Ruhe beobachtete. Inevera schien zu spüren, dass Leesha sie anschaute, und lächelte höhnisch über die Tränen auf ihrem Gesicht.
In diesem Moment zerbrach etwas in Leesha; eine plötzlich aufflackernde Wut machte sie immun gegen die Qualen dieser Männer.
Sie straffte den Rücken, trocknete ihre Augen und verfolgte den Rest der Auspeitschung mit derselben kühlen Teilnahmslosigkeit, die die Damajah zur Schau stellte.
Die Bestrafung schien eine Ewigkeit zu dauern, doch endlich sackte der erste Krieger zur Seite, dann der nächste. Leesha bekam mit, wie unter den Sharum Münzen den Besitzer wechselten, und am liebsten hätte sie ausgespuckt. Als der letzte Mann umkippte, nickte Jardir ihr zu; Leesha lief zu den Männern und holte Fäden, Salben und Verbände aus ihrem Korb. Sie hoffte, das Material würde reichen.
Jardir stampfte mit seinem Speer auf den Boden, und sie schaute hoch.
»Gebt die Botschaft an alle weiter, die am Ende des einsamen Weges das Paradies sehen wollen!«, rief er mit einer Stimme, die über das gesamte Rondell und durch die angrenzenden Straßen dröhnte. »Jede Frau, die im alagai’sharak einen Dämon tötet, soll eine Sharum’ting sein und gelangt in den Genuss sämtlicher Rechte eines Sharum !«
Ein entgeistertes Raunen breitete sich unter den versammelten Kriegern, und Leesha sah die schockierten Mienen der dama sowie der Sharum . Zornige Proteste wurden laut, die Jardir jedoch mit lautem Gebrüll im Keim erstickte.
»Jeder, der etwas gegen diesen Beschluss einzuwenden hat«, schrie er, »möge unverzüglich vortreten. Ich verspreche ihm einen raschen, ehrenhaften Tod. Wer sich morgen meinen Worten widersetzt, darf nicht mit dieser Gnade rechnen!« Es gab viele finstere Gesichter, aber niemand war so töricht, sich gegen Jardir aufzulehnen.
Als Abban am nächsten Tag im Hof des Spiegelpalastes ankam, befand er sich in Begleitung eines dal’Sharum . Der Krieger trug
seinen roten Nachtschleier um die Schultern drapiert, so dass man seinen schwarzen Bart mit den grauen Strähnen sehen konnte. Nichts an diesem Mann deutete auf Schwäche hin, doch Leesha war trotzdem überrascht. Nur wenige krasianische Krieger blieben so lange am Leben, dass ihre Bärte einen Anflug von Grau bekommen konnten. Er bewegte sich voller Stolz, aber sein hartes Gesicht wirkte verbissen, als müsse er sich bemühen, seinen Unmut zu unterdrücken.
»Darf ich dir Gavram asu Chenin am’Kaval am Kaji vorstellen, Exerziermeister des Kaji’sharaj ?«, begann Abban. Der Krieger verneigte sich, worauf Leesha höflich knickste.
Der Krieger sagte etwas auf Krasianisch, sprach aber so schnell, dass Leesha ihm nicht folgen konnte. Abban beeilte sich mit der Übersetzung: »Er sagt: ›Ich bin hier auf Befehl des Erlösers, um deine Krieger für den alagai’sharak auszubilden.‹ Exerziermeister Kaval hat den Shar’Dama Ka und mich während unserer Zeit im Sharaj trainiert«, fügte Abban erklärend hinzu. »Einen besseren Ausbilder gibt es nicht.«
Leesha musterte Abban aus zusammengekniffenen Augen und suchte in seiner einstudiert glatten Miene nach der schwer fassbaren Wahrheit. Immerhin war er im Sharaj verkrüppelt worden. Doch ihr prüfender Blick ergab nichts.
Sie wandte sich an Gared und Wonda. »Möchtet ihr ausgebildet werden?«
Zwischen Kaval und Abban entspann sich ein kurzer Wortwechsel. Wieder wurde so schnell geredet, dass Leesha nicht alles verstand, obwohl sie viele Vokabeln wiedererkannte. Abban schien ihm zu widersprechen, doch Kaval zeigte ihm seine geballte Faust, woraufhin der khaffit eine Demutshaltung annahm und sich unterwürfig verbeugte.
»Der Exerziermeister trug mir auf, deinen Kriegern zu
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