Das Flüstern der Nacht
öffnete.
Aber vor ihr stand nicht Jardir, sondern Abban; er blickte zu Boden, und in den Händen hielt er eine kleine Flasche und ein noch winzigeres Glas.
»Ein Geschenk, um dir Mut zu machen«, erklärte er, als er ihr die Flasche und das Glas entgegenstreckte.
»Was ist das?« Leesha öffnete die Flasche und schnüffelte daran. Dann rümpfte sie die Nase. »Das riecht wie etwas, das ich zusammenbrauen würde, um damit Wunden zu reinigen.«
Abban lachte. »Zweifelsohne wurde es viele Male für diese Zwecke benutzt. Es heißt Couzi und ist ein Getränk, das meine Leute häufig zu sich nehmen, wenn sie ihre Nerven beruhigen wollen. Sogar die dal’Sharum trinken es, um ihre Kühnheit zu stärken, wenn die Sonne untergeht.«
»Sie betrinken sich, bevor sie in den Kampf ziehen?«, staunte Leesha.
Abban zuckte mit den Schultern. »Im Couzi-Rausch liegt eine … Klarheit, Meisterin. Ein Becher, und man fühlt sich gelassen und angenehm durchwärmt. Zwei, und man besitzt die Tollkühnheit eines Sharum . Nach drei Bechern glaubt man, man könne am Rande von Nies Abgrund tanzen ohne hineinzufallen.«
Leesha wölbte eine Augenbraue, doch ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln. »Ein Becher kann sicher nicht schaden«, entschied sie und füllte das winzige Glas. »Ein bisschen Wärme täte mir jetzt ganz gut.« Sie setzte das Glas an die Lippen, kippte den Inhalt herunter und musste husten.
Abban verneigte sich. »Jeder weitere Becher strömt glatter die Kehle herunter als der vorherige, Meisterin.« Als er ging, genehmigte
sich Leesha ein zweites Glas. In der Tat trank es sich schon viel leichter.
Beim dritten Glas schmeckte sie den Zimt heraus.
Abban hatte Recht mit dem, was er ihr über den Couzi erzählt hatte. Leesha fühlte sich wohlig umhüllt, wie unter ihrem Tarnumhang, der sie gleichzeitig wärmte und schützte. Die streitenden Stimmen in ihrem Kopf waren verstummt, und in der Stille lag eine überwältigende Klarheit.
Sie fand, im Zimmer sei es heiß, selbst in ihrem tief ausgeschnittenen Festtagskleid fing sie an zu schwitzen. Mit den Händen fächelte sie ihren Brüsten Luft zu und amüsierte sich über die verstohlenen Blicke, mit denen Jardir sie beobachtete, während er sich bemühte, Gleichgültigkeit zu heucheln.
Der Evejah lag aufgeschlagen zwischen ihnen, während sie sich auf seidenen Kissen rekelten, aber schon vor geraumer Zeit hatte Jardir aufgehört zu lesen. Sie unterhielten sich über andere Themen; ihre verbesserten Sprachkenntnisse, sein Leben im Kaji’sharaj und ihre Lehrjahre bei Bruna, wie seine Mutter geächtet wurde, weil sie zu viele Töchter geboren hatte.
»Meine Mutter war auch nicht erfreut darüber, nur eine Tochter in die Welt gesetzt zu haben«, erzählte Leesha.
»Eine Tochter wie du ist ein Dutzend Söhne wert«, meinte Jardir. »Aber was ist mit deinen Brüdern? Deine Mutter hat sie der Welt geschenkt, auch wenn sie jetzt bei Everam weilen.«
Leesha seufzte. »Meine Mutter hat gelogen, Ahmann. Ich bin ihr einziges Kind, und ich habe keine magischen Würfel, die mir verraten, ob ich mit dir Söhne zeugen könnte.« Als sie es aussprach, fühlte sie sich, als sei eine schwere Last von ihr genommen. Sie wollte ehrlich zu ihm sein und sich nicht verstellen. Weder
wollte sie Kleider tragen, die nicht zu ihr passten, noch ihm Dinge vorgaukeln, die nicht den Tatsachen entsprachen. Er sollte ihr wahres Ich kennen, und nicht eine künstlich geschaffene Figur.
Jardir überraschte sie, indem er gleichmütig mit den Achseln zuckte. »Alles geschieht nach Everams Willen. Selbst wenn deine ersten drei Kinder Mädchen sind, werde ich sie lieben und den Glauben nicht verlieren, dass Söhne folgen.«
»Ich bin auch keine Jungfrau mehr«, platzte Leesha heraus und hielt den Atem an.
Jardir sah sie lange schweigend an, und Leesha fragte sich schon, ob sie ihre Aufrichtigkeit nicht vielleicht übertrieb. Was ging es ihn überhaupt an, ob sie unberührt war oder nicht?
Aber in seiner Kultur legte man auf solche Dinge großen Wert, und die Lüge ihrer Mutter belastete sie, als hätte sie selbst sie in die Welt gesetzt, denn wenn sie schwieg, bedeutete das eine Bestätigung.
Jardir schielte zur Seite, wie um sich zu vergewissern, ob sie auch wirklich allein waren, dann beugte er sich zu ihr vor, bis seine Lippen die ihren berührten. »Ich auch nicht«, wisperte er, und sie fing an zu lachen. Er stimmte ein, und sein Lachen klang ehrlich und unverstellt.
»Heirate mich«,
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