Das Flüstern der Nacht
Narbe zu sehen war.
Genauso verfuhr sie mit ihrer eigenen Verletzung. Zum Schluss behandelte sie Leesha, wobei sie hartnäckig schwieg und es vermied, ihr in die Augen zu sehen. Leesha beobachtete sie, ebenfalls ohne ein Wort zu sagen; doch sie merkte sich die Siegel, die Inevera benutzte, und die Weise, in der sie sie miteinander verknüpfte.
Als die Behandlung vorüber war, nahm sie das Horn näher in Augenschein. Es war immer noch intakt und Inevera stieß einen knurrenden Laut aus. »Aus den Knochen dieses Dämons werde ich noch viel bessere Würfel anfertigen.« Leesha ging nun ebenfalls zu dem toten Seelendämon und schnitt ihm das andere Horn sowie einen Arm ab. Die Körperteile rollte sie in einen schweren Wandbehang, um sie später gründlich zu studieren. Inevera sah ihr mit schmalen Augen zu, verbiss sich aber jeden Kommentar.
»Warum ist niemand gekommen, als es hier drinnen laut wurde?«, wollte Jardir wissen. »Der Kampflärm muss doch deutlich zu hören gewesen sein.«
»Ich vermute, für Alagai Ka war es ein Leichtes, Siegel der Stille um unsere Gemächer anzubringen«, erwiderte Inevera. »Wahrscheinlich wirken sie so lange, bis das Sonnenlicht auf die Wände trifft.«
Jardir sah die beiden Frauen an. »Und diese Ausgeburt des Horc hat alles bestimmt, was ihr gesagt und getan habt?«
Inevera nickte. »Er … äh … hat uns sogar miteinander kämpfen lassen … zu seiner Belustigung.« Vorsichtig berührte sie ihre geschwollene Nase.
Leesha spürte wie sie rot wurde und hüstelte. »Ja«, bestätigte sie, »so war das.«
»Warum diese grausamen Spiele?«, wunderte sich Jardir. »Warum hat er nicht einfach dafür gesorgt, dass eine von euch mir die Kehle durchschneidet, während wir in den Kissen liegen?«
»Weil er dich nicht töten wollte«, erklärte Inevera. »Er fürchtet deine Gabe, Menschen zu begeistern und um dich zu scharen mehr als deine Kampfkraft. Und nichts spornt die Leute zu größeren Taten an als ein Märtyrer.«
»Es ist auf jeden Fall besser, dich in Verruf zu bringen und deine Streitmacht zu entzweien«, bekräftigte Leesha.
»Aber du bist der Shar’Dama Ka «, beharrte Inevera. »Niemand kann mehr an dir zweifeln, nachdem du Alagai Ka mit eigener Hand getötet hast.«
Jardir schüttelte den Kopf. »Das war nicht Alagai Ka . Dafür ging es zu leicht. Eher war es der geringste seiner Prinzen. Es werden mehr von dieser Sorte kommen, und mächtigere.«
»Das glaube ich auch«, pflichtete Leesha ihm bei. Sie sah ihm fest in die Augen. »Und deshalb erinnere ich dich an dein Versprechen, Ahmann. Ich habe Everams Füllhorn gesehen, und nun möchte ich in meine Heimat zurückkehren. Ich muss meine Leute auf das, was sie erwartet, vorbereiten.«
»Du brauchst nicht zu gehen«, warf Inevera ein. Leesha sah ihr an, wie schwer ihr die Worte fielen. »Ich werde dich als eine Jiwah Sen meines Gemahls akzeptieren.«
»Als eine ›Nebenfrau‹«? Leesha lachte. »Nein, das kommt für mich nicht infrage.«
»Wenn du es wünschst, mache ich dich immer noch zu meiner Jiwah Ka des Nordens«, erklärte Jardir, unbeeindruckt von Ineveras wütenden Blicken.
Leesha lächelte traurig. »Trotzdem wäre ich immer noch eine unter vielen, Ahmann. Der Mann, den ich einmal heirate, soll nur mir allein gehören.« Er wirkte betroffen, aber Leesha verzog keine Miene, und schließlich nickte er.
»Der Stamm der Talbewohner wird dennoch meine Gunst genießen«, versicherte er. »Ich kann es nicht verhindern, dass die Stämme versuchen werden, ein paar eurer Brunnen zu stehlen, aber du sollst wissen, dass sie meinen vollen Zorn zu spüren bekommen werden, falls sie euch angreifen.«
Leesha senkte den Blick, aus Angst, sie könnte anfangen zu weinen, wenn sie noch länger die Traurigkeit in seinen Augen sah. »Danke«, erwiderte sie mit gepresster Stimme.
Jardir streckte die Hand aus und drückte zärtlich ihre Schulter. »Und ich … bitte dich um Vergebung, wenn das, was im Spiegelpalast geschah, nicht deinem Willen entsprach.«
Leesha fing laut an zu lachen; plötzlich fürchtete sie nicht mehr, sie könnte in Tränen ausbrechen. Sie warf sich an seine Brust, umarmte ihn und küsste ihn auf die Wange.
»Als das passierte, war helllichter Tag, Ahmann«, erinnerte sie ihn mit einem Zwinkern.
»Es betrübt mich, dich abreisen zu sehen, Meisterin«, erklärte Abban ein paar Tage später, als seine Gemahlinnen die letzten der zahllosen Geschenke einpackten, mit denen Jardir Leesha
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