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Das Flüstern der Schatten

Das Flüstern der Schatten

Titel: Das Flüstern der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Philipp Sendker
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habe ich nichts zu tun.«
    »Das glaube ich nicht. Warum sind Sie dann hier?«
    »Das würden Sie nicht verstehen.«
    »Dann erklären Sie es mir.«
    »Das kann ich nicht.«
    »Sagen Sie mir nur eins: Was weiß Tang von Lotus Metal?«
    »Alles.«
    »Haben Sie es ihm verraten?«
    »Nein«, beharrte sie.
    »Sie wussten von Michaels Verhandlungen mit Wang Ming und Lotus Metal. Sie waren mit Michael in Peking und Shanghai. Sie waren mit ihm auf der Baustelle der neuen Fabrik, ich habe die Fotos gesehen. Von Ihnen hat Tang von der Sache erfahren.«
    »Nein. Nein. Von mir nicht.«
    »Natürlich. Von wem sonst?«
    »Das weiß ich nicht. Aber ich habe niemandem etwas verraten.«
    »Herr Leibovitz?« Tangs Stimme kam jetzt aus der Eingangshalle. »Bitte, bitte gehen Sie jetzt. Vielleicht lässt er Sie laufen, aber mich wird er nicht schonen.«
    »Warum haben Sie Michael verraten?«
    »Habe ich nicht.«
    »Ich dachte, Sie liebten ihn.«
    »Habe ich auch.«
    »Wer wusste noch von den Verhandlungen?«
    »Keine Ahnung. Sein Vater vielleicht.«
    »Sein Vater?«
    »Ja, ich glaube.«
    »Herr Leibovitz, wo stecken Sie?«
    Paul und Anyi hielten beide den Atem an. Sie hörten deutlich die Schritte auf den Treppenstufen. Auf dem obersten Absatz schien Tang stehen zu bleiben. »Herr Leibovitz?« Er ging in die andere Richtung und klopfte an eine Tür. Als er keine Antwort erhielt, kehrte er um und näherte sich mit langsamen Schritten ihrem Zimmer. Paul nahm die Hand von der Klinke und stellte sich hinter die Tür an die Wand. Er sah, wie die Klinke langsam nach unten gedrückt wurde und die Tür sich weiter öffnete.
    »Herr Leibovitz?«
    Anyi sagte nichts mehr. Ihre Unterlippe zitterte, ihr Gesicht war aschfahl.
    Tang trat ein und entdeckte Paul sofort. »Ich wusste nicht, dass Sie mit mir Verstecken spielen wollten«, sagte er mit sarkastischer Stimme. »Wenn ich mich nicht irre, muss ich Sie nicht vorstellen, Sie kennen sich bereits. Anyi-yi, mein Schatz, hat mein Gast dich belästigt?«
    Sie schüttelte wie abwesend den Kopf.
    »Herr Leibovitz, was wollen Sie von meiner Freundin?«
    Paul blickte erst ihn und dann Anyi an. Sie hockte zusammengekauert auf dem Bett.
    »Nichts«, antwortete Paul.
    »Haben Sie eine Frage?«
    »Nein.«
    »In diesem Fall möchte ich Sie bitten, das Schlafzimmer meiner Freundin wieder zu verlassen. Ich habe den Eindruck, Ihre Gegenwart ist hier nicht erwünscht.«
    Paul schaute auf Anyi, aber sie erwiderte seinen Blick nicht.
    Er ging hinaus, dicht gefolgt von Tang.
    »Die Toilette ist dort drüben, falls Sie noch eine benötigen.«
     
    Tang wartete am Fuße der Treppe und führte Paul zurück ins Esszimmer.
    »Wer hat Ihnen von Michaels Verhandlungen mit Lotus Metal erzählt«, fragte Paul, nachdem sie wieder Platz genommen hatten.
    »Warum interessiert Sie das?«
    »Ich möchte wissen, wer Michael Owen verraten hat.«
    »Das ist völlig unwichtig.«
    »Für mich nicht. War es sein Vater?«
    Tang antwortete nicht.
    »Oder Anyi?«
    »Ich sagte Ihnen doch, für die Konsequenzen, die es hatte, spielt es überhaupt keine Rolle, von wem ich das erfahren habe. Ich kann Ihnen versichern, wer immer ihn verraten hat, bestätigte damit nur meine Erfahrung, dass wir keine Wahl haben, als zu misstrauen.«
    »Ich kenne keinen zynischeren Menschen als Sie.«
    »Es wird Sie nicht überraschen, wenn ich das als Kompliment auffasse.«
    »Warum haben Sie Michael Owen umgebracht?«
    »Diese Beschuldigung möchte ich entschieden zurückweisen«, antwortete Tang mit leichter Ironie in der Stimme. Wie kann sich dieser Mann bloß so sicher fühlen?, fragte sich Paul.
    »Aber wenn Sie davon überzeugt sind, dass ich der Mörder bin«, fuhr Tang ernst fort, »können Sie sich diese Frage selber beantworten. Michael hat hinter meinem Rücken Verhandlungen mit einem Konkurrenten geführt. Mit unserer gemeinsamen Firma haben wir sehr viel Geld verdient, aber sie hätte, zumindest zu diesem Zeitpunkt, ohne die Kontakte und Verträge der Owens nicht funktioniert. Ich hätte also ein Motiv, richtig? Aber ich sage Ihnen jetzt drei Dinge, die Sie sehr ernst nehmen sollten. Erstens: Ich habe Michael Owen nicht ermordet. Zweitens: Über die Wahrheit ist entschieden. Drittens: Sie müssen aufpassen, dass Sie nicht allein gegen den Rest der Welt kämpfen. Sie wollen doch nicht zu einem Märtyrer der Wahrheit werden, oder?«
    »Ich bin nicht allein.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Ja.«
    »Ich hoffe für Sie, dass Sie sich nicht

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