Das Flüstern der Schatten
Owens gemacht hast, war ich gerade am Telefon, erinnerst du dich?«
»Ja.«
»Am Apparat war mein Freund aus dem Wirtschaftsministerium in Peking. Er bestätigte mir, dass Lotus Metal mit Michael Owen über ein Joint Venture verhandelte. Als ich ihm sagte, dass Michael Owen ermordet worden sei, war er außer sich. Zehn Minuten später rief mich sein Bekannter an, der bei der Staatssicherheit für die Unternehmen verantwortlich ist. Bei ihm saß Wang Ming von Lotus Metal, der zufällig im Ministerium zu tun hatte. Auch sie wussten noch nichts von Michael Owens Tod, sie hatten sich nur sehr gewundert, dass er sich seit ein paar Tagen nicht gemeldet hatte. Du kannst dir nicht vorstellen, wie die beiden auf die Nachricht vom Mord reagiert haben. Das Projekt mit ihm hatte für sie eine große Bedeutung. Wang Ming war so sehr in Rage, dass er schon Minuten später im Büro des Ministers saß, um die Erlaubnis für diese Polizeiaktion zu bekommen.«
»Und dann?«
»Sie baten mich, all die Sachen, die du aus Michaels Wohnung mitgenommen hast, die Festplatte, die Handys, die Speicherchips, zu ihnen nach Shenzhen zu bringen.«
»Ich dachte, sie saßen in Peking?«
»Ja, aber Wang Ming und ein Dutzend Leute von der Staatssicherheit nahmen den nächsten Flug nach Shenzhen. Es ging alles unglaublich schnell. Du bist um kurz nach zwölf Uhr aus dem Haus gegangen, um noch Christine zu sehen, bis halb zwei habe ich mit Peking telefoniert, um fünfzehn Uhr dreißig saßen sie schon im Flugzeug. Um kurz nach halb acht trafen wir uns im Shangri-La Hotel in der Nähe des Bahnhofs in Shenzhen. Die Hälfte der Männer waren Techniker, Computer- und Handyexperten. Ich glaube, es dauerte nicht einmal eine halbe Stunde, da hatten wir Zugang zur gesamten Festplatte und allen Speicherchips.«
»Und konnten sie mit den Sachen etwas anfangen?«
»Etwas anfangen? Fast alle Beweise und Indizien, die wir bisher haben, stammen daher. Ich habe das Gefühl, wir haben uns alle in Michael Owen geirrt. Zumindest Tang hat ihn völlig falsch eingeschätzt.«
»Wie meinst du das?«
»Er hat die Verträge mit Lotus Metal sehr geschickt ausgehandelt, sie waren für die Owens viel lukrativer als die mit Tang. Dabei hat er jeden Schritt sorgfältig geplant, und als Tang von den Verhandlungen erfahren hatte und ihn einzuschüchtern begann oder es zumindest versuchte, hat der Amerikaner jede Drohung akribisch dokumentiert. Jede E-Mail ist abgespeichert.«
»War Tang so dumm, ihn schriftlich zu bedrohen?«, fragte Paul.
»Zum Teil, ja. Er hat sich wohl zu sicher gefühlt, ich glaube, wegen seiner Kontakte zur Polizei, zur Stadtverwaltung und der Partei in Shenzhen konnte er sich nicht vorstellen, dass ihn jemand je für etwas belangen würde. Aber noch viel nützlicher als die Festplatte waren die Speicherchips, die du gefunden hast.«
»Was ist darauf?«
»Es waren alles SIM-Karten für Mobiltelefone. Michael Owen besaß zwei Handys, auf denen er Gespräche aufzeichnen konnte. Wir haben aus den zehn Tagen vor dem Mord mindestens sechs Gespräche, in denen Tang sowohl Michael Owen als auch Anyi massiv bedroht.«
»Wie hat Michael Owen reagiert?«
»Er hat die Drohungen nicht ernst genommen. Ich habe mir ihre Gespräche mehrfach angehört und dabei Beklemmungen bekommen. Sie redeten die ganze Zeit aneinander vorbei. Ich weiß nicht, ob sie sich nicht verstehen wollten oder konnten. Owen beharrte darauf, dass er juristisch im Recht sei. Es gibt in den Verträgen mit Tang offenbar einen Passus, der ihm ein außerordentliches Kündigungsrecht sicherte, und davon wollte er Gebrauch machen. Verklage mich, wenn du willst, hat er Tang mehrfach aufgefordert. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Tang Gewalt anwenden würde.«
»Dann habt ihr die Polizei eingeschaltet?«
»Nein.« David schüttelte den Kopf. »Alle Männer hier, auch der Leiter der Ermittlungen, der dich heute Morgen verhört hat, sind gestern Morgen mit einem Sonderflugzeug aus Peking gekommen.«
»Warum das denn?«
»Sie wissen genau, wie gut Tangs Kontakte in Shenzhen sind. Hier hätte ihn niemand verhaftet.«
»Selbst bei der Beweislast nicht?«
»Ich vermute, wir wären gar nicht dazu gekommen, jemandem unser Material zu zeigen. Dafür ist er zu mächtig. Wir haben ziemliches Glück gehabt.«
»Warum ist Tang so wichtig, dass sich Peking um ihn kümmert?«
»Ich glaube, aus zwei Gründen. Er hat sich mit Lotus Metal die falschen Feinde gesucht. Einem Unternehmen der
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