Das Flüstern der Schatten
der Bar nach ihnen umdrehten.
Er blickte sie an. Ihre noch immer zitternden Lippen. Ihre großen, wunderschönen dunkelbraunen Augen. Die vor Wut oder Angst oder Aufregung rot gefleckte Haut an ihrem Hals und im Ausschnitt. Er stand auf und kniete sich neben sie, strich ihr über den Kopf, und in diesem Moment fühlte er etwas, das er für ganz und gar verdorrt, für abgestorben, für immer erloschen gehalten hatte. Er fühlte zaghaft eine Sehnsucht, ein Verlangen nach ihr, nach ihrem Körper, nach ihrem Atem auf seiner Haut, nach ihren Händen, die ihn halten sollten, so fest sie konnten. Er legte eine Hand auf ihre Schenkel und strich ihr mit der anderen zärtlich über die Wange.
»Kannst du bei mir bleiben?«, fragte er leise.
»Jetzt? Ich bin doch hier.«
»Heute Nacht.«
Sie schaute ihn ungläubig an, in seinem Gesicht, in seinen Augen nach einem Zeichen suchend. Wusste er überhaupt, was er da gesagt hatte? War es ihm ernst?
»Wollen wir hier übernachten, im Hotel?«, fragte er und stand auf. Er sah es in ihren Augen, dass sie nicht nein sagen würde.
Sie waren so aufgeregt, dass sie schweigend im Fahrstuhl nebeneinanderstanden, sich fest an den Händen hielten.
Das Zimmer war viel zu kalt. Er schaltete die Klimaanlage aus und öffnete die Tür zu einem kleinen Balkon. Sofort strömte warme, feuchte tropische Luft herein. Christine verschwand im Badezimmer. Er stand unschlüssig im Raum, wusste nicht, wohin mit sich, wohin mit seiner Angst und seiner Lust, wusste nicht, ob er sich ausziehen sollte, wusste nicht, was ihn trieb, ob er erregt war, bedürftig oder voller Begierde. Er zitterte am ganzen Körper. Er schloss die Augen, wollte sie nur spüren, nichts als spüren, ohne Worte, ohne Gestern, ohne Morgen, alles andere vergessen für diesen einen Moment, diese eine, unendlich lange, entsetzlich kurze Nacht.
Er hörte, wie sie die Badezimmertür öffnete und auf ihn zukam. Sie blieb vor ihm stehen, öffnete langsam, Knopf für Knopf, sein Hemd, dann den Gürtel. Sie half ihm wie einem Blinden aus der Hose, ihre Hände strichen über seine Brust, ihre Lippen liebkosten ihn. Er konnte die Augen nicht öffnen. Ein Blick hätte alles zerstört. Sie nahm seine Hände, schob mit ihnen ihren Bademantel zur Seite, entblößte ihre Brust, und er ließ sich führen, ließ sie gewähren, als sie ihn aufs Bett zog, als sie ihn gänzlich entkleidete, ihn streichelte und küsste, wo ihn seit Jahren niemand mehr berührt hatte. Er begann sich zu regen, und irgendwann bedurfte er ihrer Führung nicht mehr, traute er sich, erwachte er, bewegten sich seine Hände von allein, strichen über ihre Brüste, ihre Schenkel, ertasteten den Ansatz ihrer Scham, so vorsichtig, so zart, so behutsam, als wäre es das erste Mal, als wäre es das letzte Mal, als sei ihr Körper das kostbarste aller Geschenke. Als könne er sein Glück kaum fassen. So hatte sie noch nie jemand berührt. Zum Leben erweckt.
Er fühlte, wie ihr Atem lauter und heftiger wurde, wie sie sich immer erregter wand unter seinen Händen.
Und als es so weit war, als die Luft im Raum so warm und feucht war wie in den Straßen draußen, als das Bett, das Laken, die Wände, der Teppich, jeder Winkel des Zimmers nach ihnen roch, als nichts mehr zwischen ihnen stand, als sie ihn bat, endlich in sie einzudringen, sie zu erlösen von ihrem Begehren, ihrer Lust, da versiegte seine Kraft. Er sank in sich zusammen, erschlaffte, als sei jegliches Leben aus seinem Körper gewichen. Er bäumte sich nicht einmal dagegen auf, fiel auf die Seite und blieb reglos liegen.
Nein, ihm tat nichts weh, oder doch, alles tat ihm weh, aber für diesen Schmerz kannte er keine Worte. Nein, sie hatte nichts falsch gemacht, es war nicht ihre Schuld. Ihre Stimme bebte vor Erregung. Sie konnte nicht ruhig liegen, zitterte am ganzen Leib. Er hätte ihr gern geholfen, aber lag wie gelähmt neben ihr. Starrte an die Decke. Eins werden mit ihr konnte er nicht. Noch nicht.
Er zog das dünne Laken über den Kopf. Er wollte sich verkriechen, verschwinden, sich auflösen. »Es geht nicht«, flüsterte er. »Verzeih mir.«
Sein Schluchzen weckte sie. Christine lag auf der Seite, er hatte sich an ihren Rücken geschmiegt, die gleiche leicht gekrümmte Haltung eingenommen, eine Hand um ihren Bauch geschlungen und weinte. Sie drehte sich zu ihm, nahm seinen Kopf, legte ihn auf ihre Brust. Sie spürte, wie Tränen auf ihren Busen fielen und langsam über die Rippen auf den Bauch rannen. Es war
Weitere Kostenlose Bücher