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Das Flüstern der Schatten

Das Flüstern der Schatten

Titel: Das Flüstern der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Philipp Sendker
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patriotische Eltern haben, wer sonst würde sein Kind nach gleich drei chinesischen Dynastien nennen. »Nein, der Name sagt mir nichts. Aber was heißt das schon? Ich bin lange nicht mehr hier gewesen und lese seit Jahren keine Zeitung mehr. Was kannst du mir über ihn sagen?«
    »Auch nicht viel. Ich kenne ihn nicht persönlich, aber sein Name steht häufiger in der Zeitung. Er berät den Bürgermeister, ist Mitglied einiger Kommissionen der Stadt und der Partei und Chef von CWI.«
    »CWI? Wofür steht das?«
    »China World Investment. Das ist ein Konglomerat von Firmen, die ich weiß nicht was alles herstellen.«
    David schob mit mehreren flinken Bewegungen zwei Häufchen Reis in seinen Mund und dachte angestrengt nach. »Ein paar Straßen weiter ist ein Internetcafé. Wenn wir einen Namen haben, können wir sehen, ob wir im Internet etwas finden, was uns weiterhilft. Wo hast du die Sachen aus Michael Owens Wohnung?«
    Paul gab ihm die Aktentasche, Mei deckte den Tisch ab, und David breitete die Sachen vor ihnen aus.
    »Handys und Festplatte schau ich mir nachher mal in Ruhe an«, sagte er und blätterte in einem der Notizbücher. Michael Owens Schrift war so unleserlich, dass Paul nur einige wenige Worte entziffern konnte. In einem Heft steckte hinten eine Visitenkarte:
Cathay Heavy Metal
Michael Owen Geschäftsführer
     
     
     
    Im Internetcafé herrschte großer Andrang, und sie mussten einige Minuten warten. Paul schaute sich um: Vor manchen Computern saßen zwei, manchmal drei Jugendliche und spielten oder hackten wild auf der Tastatur herum. Die Luft war so verraucht, dass ihm die Augen brannten.
    »Vergangenen Monat war das Café für eine Woche dicht«, flüsterte David. »Jemand hatte Anzeige erstattet wegen Verbreitung von Pornografie.«
    »Und? Nichts gefunden?«
    »Doch. Die Kollegen überprüften alle Computer. Von fast jedem waren in den Tagen zuvor Pornoseiten angeklickt worden.«
    »Warum ist der Laden dann wieder offen?«
    »War nur Porno, keine Politik. Die haben nicht eine politisch brisante Webseite gefunden. Hat mich auch gewundert, muss mit der Gegend hier zu tun haben. Den Vorwurf der Pornografie kannst du mit ein paar großzügigen Geschenken aus der Welt schaffen.«
    Bevor sie das Thema vertiefen konnten, wurde ein Computer frei, und sie setzten sich. Unter Cathay Heavy Metal verzeichneten Google.com und Google.cn 828 Eintragungen. Gleich die erste war die nicht sehr ausführliche Webseite des Unternehmens. Sie stellte Victor Tang und Michael Owen als gleichberechtigte Geschäftsführer vor. Cathay Heavy Metal war ein Zulieferer der in China rasant wachsenden Automobilindustrie und vor drei Jahren gegründet worden. Die Zahl ihrer Angestellten - mehr als dreitausend - hatte sich seitdem verdreifacht. Alle Statistiken und Tabellen auf der Seite zeigten steil nach oben. Zu ihren Kunden gehörten namhafte deutsche, japanische, amerikanische und südkoreanische Autokonzerne.
    Die anderen Fundstellen, die sie anklickten, waren kleine Zeitungsnotizen, Erwähnungen in Handelsblättern und Fachzeitschriften. Ihnen zufolge waren die Owens Teil einer Familiendynastie in der amerikanischen Metallverarbeitungsindustrie. Sie besaßen Aurora Metal Inc. im US-Bundesstaat Wisconsin, das Michaels Urgroßvater, ein deutscher Einwanderer aus Böblingen, vor hundert Jahren gegründet hatte. Richard Owen war Präsident des Industrieverbandes in Wisconsin gewesen und als Mitglied einer Delegation von Präsident Ronald Reagan im Weißen Haus empfangen worden. Eine Tatsache, die David nicht unbeeindruckt ließ.
    »Der wird keine Ruhe geben, bevor wir den Mörder seines Sohnes finden«, sagte er, während er bezahlte. »Je früher wir ihn haben, desto besser.«
    »Was wollen wir mit Michael Owens Sachen machen?«, fragte Paul.
    »Ich behalte sie erst einmal. Vielleicht finde ich etwas, das uns weiterhilft.«
    »Warum sollte ich sie dir unbedingt mitbringen? Traust du der Hongkonger Polizei nicht?«
    David zögerte mit der Antwort. Paul war nicht sicher, ob er über die Frage nachdachte oder ob es ihm unangenehm war, darüber zu reden.
    »Würdest du ihr trauen?«, fragte David Zhang schließlich zurück.
    »Ich hatte bisher keinen Anlass, mir darüber Gedanken zu machen.« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Vermutlich nicht.«
     
    Auf der Rückfahrt nach Hongkong packte Paul eine so heftige innere Unruhe, dass er nicht still sitzen konnte, sondern im Zug auf und ab ging. Erst jetzt fiel ihm auf, dass

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