Das Flüstern der Schatten
hoffnungsloser Fall. Aber irgendetwas in ihm sträubte sich dagegen, sich aus der Aufklärung des Owen-Falles einfach herausdrängen zu lassen. Die Polizei fahndete bereits nach einem Mann, und es war nur eine Frage der Zeit, wann sie ihn verhaften und als einen dringend Tatverdächtigen präsentieren würde. Auch wenn er dann für diesen Menschen vermutlich nicht mehr viel tun konnte, wollte er nicht gleich bei der ersten Warnung aufgeben.
Er fragte sich, wer in Michael Owens Wohnung gewesen sein könnte und was er gesucht hatte? Die Festplatte und Speicherchips, die jetzt bei ihm, David, zu Hause im Kühlschrank unter dem Pok Choy Gemüse versteckt waren? Das Beste wäre, er würde sich diese Wohnung einmal selbst anschauen, aber wie sollte er da reinkommen, ohne Verdacht zu erregen? Es ging nur mit Pauls Hilfe, und David war sehr unsicher, ob ihm sein Freund diesen Gefallen tun würde.
Er hatte keine Zeit zu verlieren und beschloss, auf dem schnellsten Weg nach Lamma zu fahren. Vorher musste er noch Michael Owens Sachen aus dem Versteck holen, sie waren bei Paul in Hongkong sicherer aufgehoben als bei ihm im Kühlschrank. Außerdem wollte er für den Fall, dass Lo sein Telefon abhören ließ, noch eine falsche Fährte legen. Er rief Paul an und war froh, dass dieser nicht ans Telefon ging.
»Hallo Paul, hier ist David«, sprach er langsam und jeden Laut betonend auf die Mobilbox. Paul würde ihn für verrückt halten, wenn er diese Nachricht abhörte. »Ich habe deinen Anruf bekommen. Deine Stimme klang nicht gut. Es tut mir sehr leid, dass dich dieser Tod so trifft und es dir nicht gut geht. Es ist jetzt fast 17 Uhr, und ich mache mich auf den Weg zu dir. Wenn ich eine günstige Fähre bekomme, bin ich in zwei, zweieinhalb Stunden auf Lamma. Ich habe mir morgen frei genommen und kann bis morgen Abend bleiben. Bis nachher.«
Anschließend rief David noch seinen Vorgesetzten an und bat ihn um einen freien Tag, da er seinen Freund in Hongkong besuchen wolle, dem es nicht gut gehe. Lo Ming-Leng stimmte sofort zu, die Erleichterung in seiner Stimme war nicht zu überhören.
XIV
Das Wasser war warm und weich und rann Pauls Körper hinunter, als stünde er unter einer Dusche. Er war schon nach wenigen Schritten so durchnässt gewesen, dass er es aufgab, sich gegen den Regen zu schützen. Er hatte den viel zu kleinen Schirm zusammengeklappt, das Mobiltelefon und das Portemonnaie in eine dünne Plastiktüte gewickelt und saß nun ungeschützt auf dem Geländer des Piers und wartete geduldig auf die Fähre. Nach seinen Berechnungen musste David auf einem der nächsten beiden Boote sein.
Es goss so heftig, dass die Lichter Cheung Chaus und Lantaus hinter einer Wand aus Wasser verschwunden waren. Von den wenigen vorbeihastenden Passanten beachteten ihn nur die Kinder, sie zeigten mit dem Finger auf ihn, den Verrückten, der das Unwetter einfach ignorierte, sie lachten oder winkten, und er lächelte zurück.
David kam mit dem schnellen Schiff kurz vor 20 Uhr. Er wankte die schaukelnde Gangway hinunter, schaute seinen durchnässten Freund sprachlos an, betrachtete für einige Sekunden den Regen, kalkulierte dabei die Chancen, trockenen Fußes auch nur bis zum Sampan zu kommen, und lehnte dankend ab, als ihm Paul seinen Schirm anbot. Sie gingen über den Anlegesteg, vorbei an der Post und den Aquarien, in denen Hummer, Krebse, Schnecken und Muscheln auf ihr Ende warteten, bis zum Restaurant. Sie setzten sich auf die überdachte Terrasse direkt am Hafenbecken, und Paul bestellte für beide süßsaure Suppe, einen gedämpften Fisch und Gemüse. Der Regen prasselte laut auf das Plastikdach, und sie mussten sich weit über den Tisch beugen, um einander zu verstehen.
»Entschuldige die etwas verwirrende Nachricht vorhin«, sagte David, nachdem er sich das Gesicht mit einem heißen, feuchten Tuch abgerieben hatte.
»Was war los mit dir? Ich hatte keine Ahnung, wovon du redest.«
»Das tut mir leid, ich wollte meine Kollegen etwas irritieren, falls sie mich wirklich überwachen.«
»Dich überwachen? Glaubst du das im Ernst?«, fragte Paul.
David berichtete ihm ausführlich von seiner Unterhaltung mit den Arbeitern von Cathay Heavy Metal und dem Gespräch mit Lo.
»Trotzdem glaube ich nicht, dass er dich beschatten lässt. Deine Fahrt zur Fabrik war doch kein Geheimnis.«
»Das stimmt. Aber warum hat Lo mich derart eindringlich gewarnt? So habe ich ihn noch nie erlebt.«
»Du hast mir selber erklärt, dass ein Mord an
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