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Das Flüstern der Schatten

Das Flüstern der Schatten

Titel: Das Flüstern der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Philipp Sendker
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einem milden Ton, der zu verstehen geben sollte, dass er bereit war zuzuhören, egal worum es sich handelte. Aber David nahm das Angebot nicht an. Stattdessen wippte er mit dem linken Bein unaufhörlich und klopfte mit den Fingern auf der Tischplatte.
    »Kennst du die Frau auf den Fotos? Hat es etwas mit ihr zu tun?«, fragte Paul.
    »Nein. Sie sieht mir nach einer Karaoke-Bekanntschaft aus.«
    »Hat es etwas mit Tang zu tun?«
    »Wie kommst du denn darauf?«, antwortete David schroff. Pauls Fragen schienen ihm überhaupt nicht zu behagen.
    »Ich weiß nicht, nur so ein Gefühl.«
    »Quatsch.«
    »Hast du nicht gesagt, er stammt auch aus Sichuan?«
    »Ja, und?«
    Warum drückte David sich so vage aus? Warum kamen seine Antworten so zögerlich? »Kommt er aus Chengdu?«
    »Ich... ich glaube.«
    »Er muss unser Alter sein, Anfang, Mitte fünfzig. Kennst du ihn persönlich?«
    »Warum fragst du?«
    »Das ist keine Antwort«, erwiderte Paul.
    Er sah an Davids Augen, dass er sich in die Enge getrieben fühlte, eine Last mit sich schleppte, ein Geheimnis hatte, das er nicht preisgeben wollte. Er war zu weit gegangen. Dies war kein Verhör, er hatte kein Recht, seinen Freund so zu hinterfragen, er musste akzeptieren, dass auch eine Freundschaft wie die ihre Grenzen hatte, dass es Tabus, Geister oder Dämonen geben konnte, die besser nicht geweckt wurden. Dennoch vertraute er David ohne Einschränkung, dieses bedingungslose Vertrauen war das Fundament, auf dem ihre Freundschaft ruhte, daran wollte er nicht rühren. Niemals.
    »Entschuldigung«, sagte Paul.
    »Schon in Ordnung.«
    »Was hältst du von dem Brief?«
    »Schwierig. Jetzt hilft er uns nicht viel weiter, weil wir niemanden haben, den wir danach fragen können. Vielleicht später einmal.«
    »Soll ich nicht doch mal die Owens anrufen?«
    David nickte. »Versuch es, aber sei vorsichtig. Am besten du stellst Frau Owen möglichst beiläufig ein paar Fragen nach Michaels Leben in China. Ich hoffe, sie hat einen Anhaltspunkt.«
     
    Paul rief Elizabeth Owen an und erzählte etwas vom Abschluss der Ermittlungen in Shenzhen und zwei, drei offenen Fragen der Polizei, die einfachheitshalber ihn gebeten hatte, das zu erledigen: eine reine Formalität, wie gesagt, nur um einen vollständigen Bericht schreiben zu können, so war sie halt, die Bürokratie im Reich der Mitte.
    Elizabeths Antworten waren nicht sehr ergiebig. Sie kannte weder Freunde noch Bekannte, die ihr Sohn in China gehabt haben könnte, er hatte nie irgendwelche Namen erwähnt. Wenn er über Nacht geblieben war, was wohl häufiger geschehen war, hatte er immer im Century Plaza Hotel in der Nähe des Bahnhofs gewohnt, daran erinnerte sie sich. Dort gab es im Keller einen sehr guten Massagesalon, den er nach langen Tagen im Büro häufig aufsuchte, und eine Bar, die ihm wohl gefallen hatte. Mehr wusste sie nicht. Paul bedankte sich.
    »Die Bar heißt ›Glass‹, ist eine Disco, ein Karaokeschuppen und ein teures Bordell«, erklärte David müde, nachdem Paul ihm von dem Gespräch berichtet hatte. »Von dem Massagesalon habe ich noch nichts gehört, aber viele dieser Orte sind ebenfalls Puffs. Es ist nicht viel, was wir jetzt wissen, aber besser als gar nichts. Ich werde mich auf den Weg machen.«
    »Auf den Weg? Wohin?«
    »Ins Century-Hotel.«
    »Kennst du da jemanden?«
    »Nein.«
    »Was willst du dann dort?«
    »Mich umhören, mal sehen, ob mir jemand etwas über Michael Owen erzählen kann.«
    »Als was? Als Kommissar? Sobald du da Ermittlungen anstellst oder Leute aushorchst, spricht sich das rum. Wenn in dem Ding ein Edel-Puff ist, hat der Besitzer mit Sicherheit beste Kontakte zu euch.«
    »Zu uns?«
    »Zur Polizei«, verbesserte sich Paul. »Wahrscheinlich ist sie sogar dran beteiligt, oder nicht?«
    »Vermutlich. Hast du eine bessere Idee?«
    Paul dachte nach. Er ging in die Küche, setzte noch etwas Wasser auf und kehrte zurück ins Wohnzimmer, wo sein Freund ratlos auf dem Sofa kauerte.
    Ja, er hatte eine bessere Idee. Aber sollte er sie aussprechen? Was würde Christine sagen, wenn er sein Versprechen brach? Könnte sie ihm das je verzeihen? Aber genauso schwer wog die Frage, ob er David in diesem Zustand allein nach China fahren lassen konnte? Paul fühlte sich plötzlich wie gelähmt, er spürte eine bleierne Schwere im ganzen Körper und war unfähig, eine Entscheidung zu treffen.
    Was würde Justin machen, was würde er ihm raten? Es war eine absolut idiotische Phantasie, Paul wusste das. Sein

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