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Das Flüstern der Stille

Das Flüstern der Stille

Titel: Das Flüstern der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivonne Senn Heather Gudenkauf
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du für ihn aufgehört hast zu weinen, aber nicht für sie. Ich meine, sie war diejenige, die deine vollen Windeln gewechselt und dich mit diesem ekligen grünen Zeug aus dem Babyglas gefüttert hat. Und sie war diejenige, die beinah wahnsinnig wurde, als du zwei Monate alt warst und beinah vierzig Grad Fieber hattest. Es war zur Weihnachtszeit und draußen knapp vierzig Grad unter null, und die Wände des Hauses haben unter den Sturmböen gezittert. Trotzdem hat Mom die Badewanne mit eiskaltem Wasser gefüllt und dich und sich nackt ausgezogen und ist mit dir in die Wanne gestiegen. Ihr hattet beide Gänsehaut und blaue Lippen, aber sie saß da, hielt dich fest; ihr beide habt so sehr gezittert, dass kleine Wellen über den Wannenrand schlugen. Sie saß in der Wanne und hat dich gewiegt, bis das Fieber weg war und du wieder angefangen hast, wie immer zu schreien; Schreie, die von den Badezimmerwänden widerhallten.
    Ich konnte bei diesem Lärm nicht schlafen, und so habe ich Mom einen Kakao gemacht und ihre Lieblingssocken gefunden, die regenbogenfarbenen mit den kleinen Schlitzen, um die Zehen hindurchzustecken. Ich bin über das Gitter deines Kinderbettchens geklettert und habe deine gelbe Decke geholt und den komischen Sockenaffen, den Mom dir gemacht hat. Dann hab ich alles in Moms Bett gelegt, weil ich wusste, dass sie da in der Nacht mit dir schlafen würde. Es kam mir vor wie Stunden, als sie da saß und beobachtete, wie du atmest. Dann und wann hat sie ihren Finger unter deine Nase gehalten, nur um den sanften Hauch warmer Luft zu spüren. Ich frage mich, ob sie das bei mir jemals tut. Sich in mein Zimmer schleicht, auch wenn ich inzwischen zwölf bin, und guckt, ob ich noch atme, das Heben und Senken meiner Brust beobachtet. Ich mag die Vorstellung, dass sie das macht.
    Ich denke also, dass Moms Gefühle verletzt waren, weil es Dad war, der dich beruhigen konnte. Ich weiß, dass du nicht wolltest, dass sie sich so fühlt. Ich weiß, dass Dads Anwesenheit zu Hause jede Ecke des Hauses füllte, als wenn jemand auf deiner Brust sitzt. Es ist schwer, irgendwelche Geräusche zu machen, wenn man alle Kraft braucht, um überhaupt atmen zu können. Komisch, wie Dad es schaffte, dass du still wurdest, und am Ende der Einzige war, der dich wieder zum Sprechen brachte.

Antonia
    Ich eile den Flur entlang zum Fahrstuhl. Rose Callahan ist so nett, mir ihr Auto zu leihen. Ich weiß nicht, wie ich ihr danken soll, aber mir wird schon etwas einfallen, wenn das hier alles vorüber ist. Ich klimpere mit den Schlüsseln in meiner Hand, als ich darauf warte, dass die Fahrstuhltür sich öffnet. Ben und ich hatten noch keine Zeit für das Gespräch, das mehr als notwendig ist. Ich habe ihn nicht gefragt, wer ihn so böse zusammengeschlagen hat. Wieder einmal zeigen sich meine mangelnden Fähigkeiten als Mutter. Würden nicht die meisten Mütter sofort ausrufen: „Wer hat dir das angetan?“ Ich bin aber noch nicht bereit, diese Frage zu stellen. Ich bin nicht darauf vorbereitet, von Ben zu hören, dass sein Vater dafür und für noch viel Schlimmeres verantwortlich ist. Mein Magen zieht sich bei dem Gedanken an die Zerstörung, die Griff heute angerichtet hat, zusammen. Aber vielleicht hat er damit auch nichts zu tun, ich meine, bisher hat noch niemand behauptet, dass Griff dafür verantwortlich ist. Nach allem, was ich weiß, könnte er auch einfach in irgendeiner Bar sitzen. Ich will einfach nur nach Hause fahren und meinen Kindern saubere Kleidung und ihre Kuscheltiere holen. Die Tür des Fahrstuhls öffnet sich, und ich trete ein, drücke auf den Knopf fürs Erdgeschoss und lehne mich gegen die Wand. Ich schließe meine Augen und versuche, nicht zu denken. Die Türen öffnen sich wieder, und ich trete hinaus. Doch sofort werde ich von dem Drang überwältigt, einen Schritt zurückzumachen, als ich die Szene vor meinen Augen sehe.
    Mindestens ein halbes Dutzend Polizisten hat sich im Eingangsbereich versammelt. Ich sehe Agent Fitzgerald, der mit zwei Leuten spricht, die ich noch nie gesehen habe. Einige Reporter stehen in einer Ecke der Wartezone, und Louis scheint in eine hitzige Diskussion mit Logan Roper verwickelt, Griffs altem Freund aus der Highschool. Dann sehe ich, wie sich die Eingangstüren des Krankenhauses öffnen und Christine Louis hereingestapft kommt. Louis’ Frau. Großartig, denke ich. Sie sieht nicht sonderlich glücklich aus. Ich schaue mich suchend nach einem anderen Ausgang um, damit ich ungesehen

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