Das Flüstern der Stille
dem Tisch. Es ist nur natürlich, dass du dich da gestresst fühlst.“ Ich beeilte mich, Petra unter dem Schreibtisch hervorzulocken und sie dem jungen Mann vorzustellen, bevor er nichts ahnend in ihrer Gegenwart zu emotional wurde.
„Das ist meine Tochter Petra. Sie kommt am Wochenende oft mit mir ins Büro, um mir zu helfen. Petra, das ist Lucky Thompson, einer meiner Studenten.“
Petra beäugte Lucky kritisch, seine zerzausten Haare, die Baggy-Jeans und das Sweatshirt. „Ist Lucky dein echter Name?“, fragte sie freiheraus.
„Nein, eigentlich heiße ich Lynton, aber jeder nennt mich Lucky“, erklärte er.
„Gute Entscheidung“, sagte Petra und nickte. „Und, hast du Glück?“
„Die meiste Zeit schon, glaub ich.“
„Hast du ein Haustier?“, fragte sie ihn aus.
„Ja, einen Hund“, erwiderte er amüsiert.
„Weil, man sagt nämlich, dass Haustiere Stress reduzieren. Wie heißt dein Hund?“
„Sergeant. Er ist ein Golden Retriever.“
„Cool. Dad, braucht Grandma nicht Hilfe im Café? Vielleicht könnte Lucky da arbeiten“, schlug Petra vor. Ein Anruf bei meiner Schwiegermutter bestätigte die Vermutung, und ich arrangierte ein Treffen zwischen ihr und Lucky.
„Du bist ein cooles Kind, Petra“, sagte Lucky, lächelte, stupste ihr unters Kinn und zerzauste ihr die Haare.
In ihrer unangestrengten, magischen Art hatte Petra wieder einmal alles zum Besseren gewandt, und der junge Mann verließ mein Büro mit neu gewonnenem Selbstbewusstsein und einem Teilzeitjob im Mourning Café.
Ich stehe auf, meine Gelenke knacken vor Anstrengung. Ich fühle mich heute so alt, wie ich bin. Ich nehme den Stapel Flugblätter und eine Rolle Klebeband, verschließe die Tür zu meinem Büro und beginne mit der unfassbaren Aufgabe, das Bild meines Kindes an Fenster und Telefonmasten in der Stadt zu kleben.
Antonia
Mein Ohr tut mir weh von all den Telefonaten, um Calli und Petra zu finden. Ich habe alle angerufen, die mir eingefallen sind. Nachbarn, Mitschüler, sogar Lehrer. Niemand hat sie gesehen. In den Pausen am anderen Ende der Leitung kann ich einen stillen Vorwurf hören. Ich habe mein Kind verloren, das wertvollste Geschenk, irgendwie habe ich sie fortgehen lassen. Ich weiß, was sie denken. Erst lasse ich es zu, dass mein Kind seine Stimme verliert, und nun ist es ganz fort. „Was für eine Mutter ist sie?“, ist das, was sie nicht sagen. Stattdessen wünschen sie mir Glück und beten für uns, sagen, dass sie sich auf die Suche nach den Mädchen machen und allen weitersagen, die Augen offen zu halten. Sie sind sehr freundlich.
Ich denke, ich hätte an dem Tag, an dem Calli ihre Stimme verlor, Poster aufhängen sollen. VERMISST , hätte draufgestanden. Calli Clarks wunderschöne Stimme. Vier Jahre alt, klingt aber wesentlich älter, hat einen sehr großen Wortschatz, zuletzt gehört am 10. Dezember, direkt nachdem ihre Mutter die Treppe hinuntergefallen ist. Wenn Sie irgendwelche Hinweise haben, rufen sich mich bitte an. BELOHNUNG. Dumm, ich weiß. Vor allem weil ich so wenig getan habe, um Calli zu helfen, ihre Stimme wiederzufinden. Oh, ich habe das Notwendigste getan. Sie zum Arzt gebracht, sogar zu einem Familientherapeuten. Aber es hat nichts gebracht. Kein Wort hat sie mehr gesprochen. Ich habe so hart daran gearbeitet, den Tag zu vergessen, an dem ich mein Baby verlor, aber kleine Erinnerungsfetzen überfallen mich immer noch zu den unmöglichsten Zeiten. Ich kann in meinem Garten Unkraut rupfen und mich mit einem Mal daran erinnern, dass ich sie Poppy genannt hatte; ich konnte sie ja nicht wirklich Popsicle Cupcake Birthday Cake nennen, aber Poppy schien angemessen. Sie hatte das wunderschönste rote Haar; sie sah ein bisschen aus wie eine kleine Blume mit verwelkten Blütenblättern, als sie sie mir brachten, damit ich ihr Auf Wiedersehen sagen konnte. Sie haben alles versucht, um sie zu retten, aber sie hat nicht einen einzigen Atemzug auf dieser Welt getan.
Ich konnte auch an der Spüle in der Küche stehen und eine Pfanne abwaschen und mich plötzlich daran erinnern, wie Griff an diesem Tag, nachdem er mir auf die Couch geholfen hatte, Calli in die Küche brachte und ihr etwas ins Ohr flüsterte. Ich erinnere mich daran, gedacht zu haben: „Oh, er versucht, sie zu beschwichtigen, sie mit Worten zu beruhigen.“ Aber danach hat sie nichts mehr gesagt, niemals. Ich habe Griff nie gefragt, was er zu Calli gesagt hat, und – was noch schlimmer ist – ich habe Calli nie
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