Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Flüstern der Stille

Das Flüstern der Stille

Titel: Das Flüstern der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivonne Senn Heather Gudenkauf
Vom Netzwerk:
College bekommen. Die Stille und Weite des Landes weckten die Sehnsucht nach Straßenlärm und nach dem Lärm von lachenden und streitenden Nachbarn in mir. Ich erinnere mich daran, in meinem neuen Bett gelegen zu haben, in einem Zimmer für mich allein, und das sanfte Schnarchen meines Bruders vermisst zu haben. Die Ruhe machte es mir unmöglich einzuschlafen. Unsere Nachbarn waren Kilometer entfernt. Die einzigen Geräusche waren das Bellen eines Hundes oder das Wehen des Winds. Nach vielen schlaflosen Nächten kaufte mir meine Mutter schließlich ein kleines Radio, das sie auf meinen Nachttisch stellte, um die Stille zu vertreiben, die mich wach hielt.
    Widerwillig begann ich meinen ersten Tag an der Willow Creek Elementary School. Ich gab vor, krank zu sein; meine Mutter saß auf der Kante meines Betts und schaute mir in die Augen. „Loras Michael Louis“, begann sie mit ernsthafter Stimme. „Glaub mir, gerade ich weiß, dass es nicht einfach ist, das zu verlassen, was man kennt, und etwas Neues anzufangen. Dein Vater ist nicht mehr da, um uns zu helfen. Du bist der Älteste, und alle schauen darauf, was du machst. Wenn du im Bett liegst und Trübsal bläst, werden sie es auch tun. Wenn du allerdings gut gelaunt aufstehst, bereit, es mit der Welt aufzunehmen, werden sie dir auch das nachmachen.“
    „Mom, Katie ist drei Monate alt, sie nimmt es mit niemandem auf“, gab ich frech zur Antwort.
    „Nun, du bist das älteste männliche Vorbild, an dem sie sich orientieren kann. Dein Verhalten wird beeinflussen, welches Bild sie sich einmal von Männern macht. Denk mal darüber nach, Mister. Und jetzt steh auf.“
    „Ist ja gut, Mom, okay.“
    Ich krabbelte aus dem Bett, zog mich an und betete, dass irgendjemand in diesem gottverlassenen Ort wusste, wie man im Frühling Straßenbaseball spielt.
    An diesem ersten Tag fuhr uns unsere Mutter zur Schule. Der Himmel war so blau wie ein frisch gelegtes Rotkehlchen-Ei, und die gesamte Landschaft lag unter einer Schneedecke, deren helles Weiß mir in den Augen schmerzte. Es war sehr kalt, und obwohl meine Mutter die Heizung in dem rostigen blauen Plymouth Arrow angestellt hatte, konnten wir unseren Atem sehen. Die Schule war ein großes, altes Rotklinkerhaus mit zwei Etagen und lag am Ortsausgang. Sie war sogar größer als meine kleine private Grundschule in Chicago, aber sah so ähnlich aus, und das beruhigte mich. Als Nächstes bemerkte ich, dass Schüler jeden Alters über den Schulhof und hinter das Gebäude liefen, wobei sie rote Plastikschlitten und hölzerne Rodelschlitten hinter sich herzogen.
    „Komm, Dave“, sagte ich zu meinem Bruder, der noch in den Kindergarten ging. „Lass uns gehen.“ Ich schnappte mir meinen Schulranzen, verabschiedete mich schnell von meiner Mutter, und dann stürzten wir auch schon aus dem Auto.
    „Hey“, rief sie uns nach. „Soll ich euch nicht noch reinbringen?“
    „Nein, danke!“ Ich warf mir meinen Ranzen über die Schulter, und gemeinsam mit meinem Bruder folgte ich den Fußspuren im Schnee zur Rückseite der Schule. Sogar für meine siebenjährigen Augen war es ein atemberaubender Anblick. Hinter der Schule verbarg sich ein riesiger Hügel, der breiter als das Gebäude war. An einigen Stellen war er sehr steil, etwas flacher an anderen, und er endete auf einer ebenen Fläche, die mindestens so groß war wie zwei Fußballfelder. Oben auf dem Hügel standen die Kinder in Reihen an, um die verschiedenen Schlittenspuren hinunterzufahren. Es gab eine eindeutige Hackordnung: Die älteren Kinder, vielleicht Siebt- und Achtklässler, standen an einer Stelle des Hügels, an dem es sehr steil bergab ging. Hier waren mehrere künstliche Wälle aus Schnee gebaut worden, sorgfältig abgerundet und festgeklopft, damit die Schlitten gut sprangen. Die kleineren Kinder sammelten sich am kürzeren, weniger steilen Ende des Hügels. Ich schaute zu, wie die Kinder vor Freude jauchzend den Hügel hinuntersausten, und sah ihren entschlossenen Blick auf dem Weg zurück, während sie den Schlitten bergan hinter sich herzogen.
    Eine kleine Gestalt fiel mir ins Auge. Das Kind – ein Junge, ungefähr in meinem Alter, schätzte ich – trug schwarze Schneehosen, einen übergroßen schwarzen Wintermantel und schwarze Gummistiefel. Zwei nicht zueinanderpassende Handschuhe – einer rot, einer grün – und eine schwarze, tief in die Stirn gezogene Wollmütze vervollständigten den Aufzug. Ich beobachtete, wie er seinen silbernen,

Weitere Kostenlose Bücher