Das Flüstern der Stille
gefragt.
Ich gehe nach draußen, und sofort überfällt mich die hohe Temperatur. Ich sehe die Hitze von der Straße aufsteigen, die Luft ist ganz wellig und dick, und das Zirpen der Grillen ist beinah ohrenbetäubend. Ben kommt langsam aus dem Wald. Seine Schultern hängen, und die Hände hat er in die vorderen Taschen seiner Jeans gesteckt. Er glänzt vor Schweiß. Für mich sieht er wieder wie der kleine Junge aus, der immer so süß und unsicher war, so gern einer der Jungs sein wollte, aber nicht recht wusste, wie er das anstellen sollte. Er war schon immer groß für sein Alter. Seine Schulfreunde schauten zu ihm auf, beeindruckt von seiner Masse, aber auch immer ein wenig verwundert ob seines Sanftmuts. „Sorry“, sagte er immer, wenn er beim Basketballspiel einen gegnerischen Spieler zu Boden gestoßen hatte, und blieb dann stehen, um sicherzugehen, dass dem anderen nichts passiert war.
„Sorry, Mom“, flüstert Ben, als er an mir vorbei in die Küche schleicht.
Ich folge ihm und finde ihn gegen den Küchentresen gelehnt. Ich greife ins Regal und nehme ein Glas heraus, fülle es mit Eis und Limonade und reiche es ihm.
„Danke, dass du es versucht hast, Ben. Ich weiß, dass du dein Bestes gegeben hast. Es gibt niemanden, der den Wald besser kennt als du. Wenn sie da gewesen wären, hättest du sie gefunden, das weiß ich.“
Er trinkt einen großen Schluck Limonade und verzieht wegen der Säure das Gesicht. „Ich gehe noch mal raus. Ich werde die Jungs anrufen, und dann suchen wir zusammen. Wir müssen tiefer hinein. Sie ist vielleicht weiter gegangen als sonst, sie mag es, den Wald zu erkunden.“
„Das ist eine gute Idee. Ich komme mit. Ich bitte Mrs. Norland, hier die Stellung zu halten, damit jemand da ist, falls sie zurückkommen. Ich hole nur noch schnell etwas Wasser. Ruf du schon mal die Jungs an.“
Ben hat seine Hand schon am Telefon, als es klingelt. Geschockt zieht er sie zurück, dann nimmt er nach dem zweiten Klingeln den Hörer auf.
„Hallo?“ Er sagt es wie eine Frage. „Einen Moment, bitte.“ Er reicht mir den Hörer und flüstert: „Louis.“
„Lou?“, sage ich und spüre, wie mir die Tränen kommen. „Hast du was gehört?“
„Nein, bis jetzt noch nicht. Ich habe die State Police kontaktiert, und sie schicken jemanden vorbei. Er wird in ungefähr einer Stunde hier sein. Er wird sicher mit dir und Ben und Mr. und Mrs. Gregory sprechen wollen.“ Er macht eine Pause. „Wir haben versucht, Griff und Roger Hogan zu erreichen, aber leider ohne Erfolg. Rogers Frau sagte, dass er Griff heute Morgen um vier Uhr abholen und dann gemeinsam mit ihm nach Julien fahren wollte. Ich habe die Polizei in Julien angerufen. Ein Officer wird zur Hütte fahren und die Männer darüber informieren, was hier los ist.“
Ich versuche, mir Griffs Reaktion darauf vorzustellen, dass die Mädchen verschwunden sind. Wird er sich Sorgen machen, wird er gleich zurückkommen? Oder wird er dableiben und mich mit der Situation allein lassen? Wie ich Griff geliebt habe – und immer noch liebe, glaub ich, auf meine Art. Er war aufregend, und bevor der Alkohol meinen Platz in seinem Herzen eingenommen hat, hat er mich gebraucht. „Sollen Ben und ich aufs Revier kommen?“ Ich wende meine Aufmerksamkeit wieder dem Mann zu, mit dem ich aufgewachsen bin, den ich hätte heiraten sollen. Aber wenn ich das getan hätte, gäbe es weder Ben noch Calli.
„Ich schlag vor, ich ruf dich an, wenn er da ist, und dann kommen wir zu dir. Auf diese Weise bist du da, falls Calli auftauchen sollte. Toni … du solltest wissen, dieser Mann von der State Police, der verdient mit diesen Dingen seinen Lebensunterhalt, also mit der Suche nach vermissten Kindern. Er hat schon alles gesehen, und er kennt dich nicht. Er wird einige … einige Fragen stellen, die dir nicht gefallen werden.“
„Was soll das heißen?“ In dem Moment, wo ich die Worte ausspreche, dämmert es mir. „Du meinst er könnte denken, dass wir etwas damit zu tun haben? Oh, mein Gott.“ Plötzlich fühle ich mich schmutzig und schuldig.
„Ich werde dabei sein, Toni. Diese hohen Tiere neigen dazu, die Kontrolle zu übernehmen, aber er ist gut. Er wird uns helfen, Calli und Petra zu finden.“
„Okay, Lou, wir werden hier sein“, sage ich schwach. Ein Schweigen so schwer wie die Sommerhitze hängt zwischen uns.
„Toni, ich habe Callis und Petras Verschwinden dem NCIC gemeldet“, sagt Lou wie nebenbei, als wolle er mich glauben machen, dass
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