Das Flüstern der Toten (German Edition)
würde er hinübergehen und mich alleine in den irdischen Gefilden zurücklassen? Ich fürchtete so sehr, ihn zu verlieren, wenn sein irdischer Leib sein Leben aushauchte. Ich wollte, dass er aufwachte, damit er mit Leib und Seele mein werden konnte. Da war ich ganz egoistisch.
»Reyes«, sagte ich, heiser vor Lust, während sein Mund eine besonders empfindliche Stelle hinter meinem Ohr fand, »bitte, wach auf!«
Stirnrunzelnd, als hätte er mich nicht verstanden, zog er den Kopf zurück, dann küsste er mich, und ich verlor das letzte bisschen Verstand. Der Kuss begann sanft. Seine Zunge strich über meine, kostete und neckte mich mit unendlicher Vorsicht. Dann loderte er auf wie ein Waldbrand, wurde heftiger, ungestüm und fordernd, während er sich über meinen Mund hermachte, ihn mit triebhaftem Verlangen erforschte und in Besitz nahm. Der Kuss nahm mir die letzte bisher verdrängte Unsicherheit. Er schmeckte nach Regen und leicht entflammbaren Materialien.
Reyes drängte sich an mich, und zwischen meinen Beinen loderten Flammen. Doch als ich die Hände zwischen uns schob, um nach seiner Erektion zu greifen, ließ er von mir ab.
So schnell, dass mir davon schwindlig wurde, fuhr er herum, und sofort materialisierte sein Gewand, ein fließendes Gebilde, das uns beide umhüllte. Zugleich hörte ich leises Klirren, als er seine Klinge zog, dann drang ein finsteres, kehliges Knurren aus seiner Brust, und ich kam blinzelnd zu mir – so schwach, dass ich mich kaum auf den Beinen halten konnte. Befand sich jemand bei uns im Zimmer? Oder etwas?
Ich konnte nicht erkennen, was hinter Reyes’ breiter Schulter lauerte, doch ich spürte die Spannung, unter der sich jeder Muskel in seinem Körper straffte. Was immer hier drohte, war überaus real und äußerst gefährlich.
Nach ein paar Augenblicken drehte er sich wieder zu mir um, umfasste mit der freien Hand meine Taille, zog mich an sich und suchte meinen Blick, flehte stumm um Verständnis. »Wenn ich erwache«, hauchte er gequält, »wird man mich finden.«
»Was? Wer?«, fragte ich, und mein Herz schlug Alarm.
»Und wenn sie mich finden«, fuhr er fort, während sein Blick an meinem Mund hing, »finden sie auch dich.«
Dann war er verschwunden.
Etwa drei Sekunden später landete ich auf dem Fußboden.
18
Wer sich mit Clowns anlegt,
sollte sich als Erstes den Jongleur vornehmen.
– Stoßstangenaufkleber
Hatte ich die letzten siebenundzwanzig Jahre gepennt? Gab es Wesen, von denen ich überhaupt nichts wusste? Wesen, die so gefährlich und wild waren, dass nur etwas Übernatürliches gegen sie ankam?
Ich saß mit Onkel Bob im Konferenzraum, ohne mich nach dem gestrigen Abend wirklich konzentrieren zu können. Garrett war auch da, ebenso der Bezirksstaatsanwalt, der Chefermittler der Sonderkommission Price, die Anwälte sowie ein äußerst zappeliger Angel. Wir besprachen die Feinheiten unseres Abendplans. Das war nicht ganz leicht, da nicht alle im Raum auf dem Laufenden waren, doch Onkel Bob löste das Problem. Klar, was sonst?
Garrett und Angel hatten überraschenderweise nicht viel gesagt. Was Garrett anging, konnte ich das verstehen. Ihm passte das alles nicht in den Kram. Doch Angel bekam die erstklassige Gelegenheit, mit einer scharfen verstorbenen Rechtsanwältin im Minirock zu schäkern, ließ sie sich jedoch durch die Lappen gehen. Genau genommen sah er sie kaum an. Ich hatte keine Ahnung, welche Laus ihm über die Leber gelaufen war. Reyes? Wusste er, dass ich Fantasien mit ihm hatte, die fast kriminell waren?
Nachdem der Chefermittler und der Bezirksstaatsanwalt gegangen waren, fragte Onkel Bob: »Okay, was hast du wirklich vor?«
Willkommen in der Realität. Ein vages Grinsen huschte über mein Gesicht. »Ich schlage mit meinem lächerlichen Video und meinen konstruierten Beweisen auf und bringe Price dazu, alles zu gestehen.«
»Das bringst du fertig?«
»Das bringe ich fertig.«
»Mannomann«, sagte er, schon jetzt beeindruckt, »du willst ihm was flüstern.«
Garrett rutschte unbehaglich auf seinem Platz herum, weigerte sich aber, irgendwas dazu beizutragen.
»Und wenn wir ihn nicht finden?«, fragte Barber mit Blick auf unsere Suche nach Pater Federico. »Was, wenn die Sonderkommission gar nicht alle von Prices Unterschlüpfen kennt? Womöglich wird er ganz woanders festgehalten.«
»Oder die haben ihn längst umgebracht«, warf Sussman ein.
»Das ist natürlich möglich«, meinte ich, »aber Price ist durch und durch katholisch.
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