Das Flüstern der Toten (German Edition)
Ich denke, es würde ihm nicht leichtfallen, einen ordinierten Priester abzumurksen.«
»Dann durchsuchen Barber und ich seine Betriebsstätten«, sagte Elizabeth, »während Sussman und Angel Ihnen zur Hand gehen?«
»So sieht’s aus.«
»Wie noch mal?«, fragte Onkel Bob. Ich fasste alles für ihn zusammen, und er gab uns sein Okay. Was gut war, denn einen Plan B hatten wir nicht in petto.
»Angel«, sagte ich, während alle den Abflug machten, »sagst du mir jetzt, was gebacken ist, oder muss ich auf die Foltermethoden zurückgreifen, die ich letztes Jahr während des Mardi Gras gelernt habe?«
Er lächelte und legte meinetwegen mehr Schwung in seine Schritte. »Mir geht’s gut, Chefin. Ich schaff das mit geschlossenen Augen.«
»Ja, aber nur, weil du durch die geschlossenen Lider sehen kannst.«
»Stimmt«, meinte er achselzuckend.
Ich checkte mein Handy. Cookie hatte eine Nachricht hinterlassen. »Du wirkst bloß so traurig«, sagte ich und wählte die Mailbox. »Als hätte dir jemand deine bevorzugte Neunmillimeter geklaut.«
»Ich bin nicht traurig.« Er lief den Korridor hinunter, drehte sich aber noch mal um. »Zumindest nicht, wenn ich Sie ansehe.«
Aua. Das war ja mal süß. Er führte zweifellos irgendwas im Schilde, ich konnte bloß nicht mit dem Finger drauf zeigen.
»Du rätst es nicht. Du rätst es nicht«, flötete Cookie fröhlich ins Telefon. »Ich habe ihren Namen. Ich habe den Zellengenossen von Reyes angerufen, diesen Amador Sanchez, und ihm gedroht, ihn wegen Verstoßes gegen seine Bewährungsauflagen dranzukriegen, wenn er nicht kooperiert. Und jetzt habe ich ihren Namen und ihre Anschrift. Sie … « Die Mailbox verabschiedete sich piepend, worauf die nächste Nachricht folgte. »Tut mir leid, verdammte Handys. Sie lebt in Albuquerque. Ihr Name ist Kim Millar, und sie ist nie von hier weggezogen.«
Meine Knie gaben unter mir nach. Im Vorbeigehen griff ich mir Papier und Bleistift vom Schreibtisch eines Polizisten, handelte mir einen feindseligen Blick ein und notierte mir rasch die Adresse.
»Eine Telefonnummer hatte er nicht, aber er meinte, sie arbeitet zu Hause und müsste deshalb dort anzutreffen sein, wenn du das hier hörst.«
Am liebsten hätte ich die Frau geküsst.
»Ich weiß, du würdest mich jetzt am liebsten küssen. Finde du erst mal Reyes’ Schwester, wir können auch hinterher noch ausgiebig knutschen.«
Ich sprang irre kichernd in Misery und brauste in die Innenstadt. Vor gespannter Erwartung wechselten mein Herz und mein Magen die Plätze. Ich sah auf die Uhr. Noch vierundzwanzig Stunden. Noch vierundzwanzig Stunden, um Sand ins Staatsgetriebe zu streuen.
Während der Fahrt fand ich Zeit, über Reyes’ rätselhaften Satz vom vorigen Abend nachzudenken. Was hatte er gemeint, als er sagte, man würde ihn finden? Wurde er gejagt? Ich beschloss, mir lieber nicht vorzustellen, wen oder was Reyes so böse angeknurrt hatte. Offenbar gab es Dinge, die nicht mal ich sehen konnte. Womit wir bei einem gravierenden Problem wären: Was für einen Sinn hatte es, eine Schnitterin zu sein, wenn ich nicht alles mitbekam? Sollte ich nicht stets auf dem Laufenden bleiben? Mal im Ernst, wie konnte man von mir erwarten, dass ich so meine Arbeit machte?
Nachdem ich vor einer eingezäunten Wohnanlage geparkt hatte, trottete ich über den Bürgersteig zum Eingang von 1B und klopfte an. Eine Frau meines Alters öffnete mit einem Geschirrtuch in der Hand; anscheinend spülte sie gerade.
Ich trat mit ausgestreckter Hand vor und sagte: »Hi, Ms Millar, mein Name ist Charlotte Davidson.«
Mit papierdünnen, kalten Fingern nahm sie vorsichtig meine Hand. Mit ihren dunkelroten Haaren und hellgrünen Augen sah sie Reyes kein bisschen ähnlich. Eher leicht irisch.
»Was kann ich für Sie tun?«, erkundigte sie sich.
»Ich bin Privatdetektivin.« Ich fummelte nach einer Visitenkarte und hielt sie ihr hin. »Ich würde mich gerne mit Ihnen unterhalten.«
Nachdem sie meiner Karte einen ausgiebigen Blick gegönnt hatte, machte sie die Tür weiter auf und bedeutete mir einzutreten. Als ich das sonnenhelle Zimmer betrat, sah ich mich nach Fotos von Reyes um. Aber es gab hier überhaupt keine Bilder, weder von Reyes noch von irgendwem sonst.
»Sie sind Privatdetektivin?«, fragte sie und lud mich ein, Platz zu nehmen. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
Sie setzte sich mir gegenüber. Durch die Florgardinen schien die Sonne herein und tauchte den vorderen Raum in wohlige Wärme. Die
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