Das Flüstern der Toten (German Edition)
und ihnen dann den Weg durch diverse jenseitige Ebenen weisen. Aber zwingen kann ich sie zu nichts. Zumindest glaube ich das. Versucht hab ich’s noch nie. Allerdings kann ich sie austricksen. Ein paar Kerzen, ein kurzer Singsang, und – voilà – fertig ist der Exorzismus. Die Verstorbenen fallen jedes Mal darauf herein und treten hinüber, obwohl sie es eigentlich gar nicht wollten. Mit Ausnahme von Mr Habersham aus der Nachbarschaft. Als ich ihn austreiben wollte, hat er bloß gekichert. Alter Sack.
Aber mal abgesehen von Mr Habersham – und Mr Wong, fällt mir gerade ein – lebe ich gerne hier und nun schon etwas länger als drei Jahre. Meine Wohnung und mein Büro befinden sich im Causeway-Haus, das direkt hinter der Bar meines Vaters steht und so was wie ein hiesiges Wahrzeichen ist.
Dieses alte Gebäude hatte sich in mein Gedächtnis eingebrannt, als ich noch klein war – zu klein, um zu wissen, dass es das Böse wirklich gibt – , allerdings lag das nicht an seiner besonderen Architektur. Als mein Vater später die Bar kaufte und ich zum ersten Mal den Parkplatz dahinter betrat, sah ich das Gebäude nach mehr als zehn Jahren wieder. Ich blickte zu der kunstvollen mittelalterlichen Bildhauerei über dem Eingang auf, in Albuquerque eine Seltenheit, und stand wie gelähmt da, als dunkle, qualvolle Erinnerungen in mir hochkamen. Ich spürte einen Stich in der Brust, dass mir die Luft wegblieb, und von da an war ich dem Gebäude verfallen.
Wir hatten eine gemeinsame Geschichte, eine schreckliche, albtraumhafte Geschichte um einen Sittenstrolch auf Freigang. Und ich hoffte, die bösen Geister irgendwie besiegen zu können, indem ich hier wohnte. Was natürlich am besten funktionierte, solange mich die Dämonen nicht zu Hause aufsuchten.
Ich setzte Kaffee auf und lief ins Bad, um nachzusehen, ob meine Augen genauso geschwollen waren wie mein Kinn. Triefäugig wie ein Filmstar in der Entzugsklinik gab man nicht gerade eine Schönheit ab. Doch dann stellte ich fest, dass die rote Schwellung das Gold in meinen Augen hervorhob. Cool. Ich drehte das heiße Wasser voll auf und wartete die gewohnten zehn Minuten, bis es siedend heiß war.
Und da heißt es immer, in New Mexico sei das Wasser knapp. Mein Vermieter sah das offenbar anders.
In dem Moment stürmte Cookie, meine Nachbarin, Busenfreundin und Empfangsdame mit einer Tasse Kaffe in die Wohnung. Cookie war genau wie Kramer aus Seinfeld , nur nicht so aufgekratzt, wie Kramer auf Prozac vielleicht. Dass sie eine Tasse Kaffee in der Hand hatte, wusste ich, weil sie immer eine Tasse Kaffee in der Hand hatte. Ohne kriegte sie vermutlich keinen vollständigen Satz auf die Reihe.
»Ich bin wieder da, Schatz!«, rief sie aus der Küche.
Alles klar, sie hatte Kaffee.
»Ich auch«, ließ sich leise kichernd eine zweite Stimme vernehmen.
Ich kannte Cookie, seit ich im Causeway wohnte. Sie war nach einer hässlichen Scheidung – wie sie selbst sagte – dort eingezogen, und wir hatten sofort Freundschaft geschlossen. Doch sie hatte eine Tochter, Amber, und man bekam sie nur im Doppelpack. Während Cookie und ich uns auf Anhieb verstanden, bereitete mir die Kleine Kopfzerbrechen. Ich war nicht an Kinder gewöhnt, die die unheimliche Fähigkeit hatten, bei mir innerhalb von dreißig Sekunden alle Schwächen aufzudecken. Und auch ich kann lesen, ohne die Lippen zu bewegen – nur damit das klar ist. Dennoch war ich fest entschlossen, Ambers Herz um jeden Preis zu erobern. Und nach nur einer Partie Minigolf war ich Wachs in ihren Händen.
»Bin gleich bei dir«, rief ich aus dem Bad. Mr Lowenstein am Ende des Flurs hatte offenbar große Wäsche, da es nicht sehr lange dauerte, bis das Wasser den Siedepunkt erreicht hatte. Rings um mich stieg Dampf auf, während ich mir Wasser ins Gesicht klatschte. Nach dem zweiten Blick in den Spiegel gab ich es auf. Gott sei Dank musste mein Traummann mich nicht so sehen. Ich tupfte mir mit einem Handtuch das Gesicht ab und schreckte zurück, als sich auf dem beschlagenen Spiegel ein Name bildete.
DUTCH.
Ich hielt den Atem an. Dutch. Ich hatte mir das nicht bloß eingebildet. Mein Traummann, Reyes, der Gott meiner Fantasie und der Sinnlichkeit hatte mich unter der Dusche Dutch genannt. Wer sonst?
Ich blickte mich im Bad um. Nichts. Ich hielt inne und lauschte. Doch alles, was ich hörte, war Cookie, die in der Küche klapperte.
»Reyes?« Ich spähte um den Duschvorhang. »Reyes, bist du das?«
»Kauf dir mal eine neue
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