Das Flüstern der Toten (German Edition)
alles in Ordnung war.
Ich legte meine Hand auf seine. »Schikaniere ihn ein wenig für mich mit, okay?«
Er drückte mich noch kurz, dann schlenderte er zum Tresen und behauptete – lautstark – , ein Ermittler des Gesundheitsamts zu sein. Ich zuckte zusammen. Mein Vater fand kaum etwas weniger witzig als einen Besuch des Gesundheitsamtes. Die Vorstellung rangierte irgendwo zwischen einer Vorladung des Finanzamts und einer Sammelklage vor Gericht.
Ich wandte mich wieder den Anwälten zu. Sie hatten rund um den Tisch Platz genommen – Onkel Bob hatte ihnen die Stühle zurechtgerückt – und unterhielten sich miteinander.
»Wissen Sie, wann Ihre Beerdigung ist?«, fragte Elizabeth Sussman mit trauriger Stimme.
Sussman ließ den Kopf hängen. »Der Termin beim Leichenbestatter ist heute Nachmittag.«
Sie legte ihre Hand auf seine. »Und wie geht’s Michelle?«
»Nicht gut. Ich muss zu ihr zurück.«
Oh-oh. Er gehörte also zu den Verstorbenen, die zurückbleiben, um sich ihrer Familie anzunehmen . Aber so wie Barber nicht vor Schreck blass werden konnte, war auch ein Geist, der sich seiner Familie annahm, ein Ding der Unmöglichkeit. Sobald alles gesagt und getan war, würde ich ihn von diesem Irrweg abzubringen versuchen.
»Und was ist mit Ihnen?«, wandte sich Barber an Elizabeth. »Wissen Sie, wann Sie beigesetzt werden?«
»Nein, keine Ahnung.« Sie rückte ihm auf die Pelle. »Und? Werden Sie hingehen?«
Barber zuckte die Achseln. »Weiß nicht. Gehen Sie denn zu Ihrer?«
»Ich denke schon.«
»Ach? Ja?«
Elizabeth lächelte und rutschte näher. »Ich schlage Ihnen einen Handel vor.«
»Oh-oh.«
»Wenn Sie mich zu meiner Beerdigung begleiten, begleite ich Sie zu Ihrer.«
Barber dachte einen Moment darüber nach, dann zuckte er widerwillig mit den Achseln. Ich versuchte nicht loszuprusten. Die beiden erinnerten an Schüler, die sich gegenseitig zu überzeugen versuchten, dass sie keinesfalls zum Schulball gehen wollten.
»Ja, schätze, das könnten wir machen«, meinte Barber. »Sind Sie dabei, Patrick?«
»Was?« Sussman war tausend Sonnensysteme weit weg gewesen und zwang sich jetzt, seine Kollegen wieder zu beachten. »Ich weiß nicht. Kommt mir irgendwie morbide vor.«
»Ach, kommen Sie«, rief Elizabeth. »Dann können wir uns anhören, was unsere bestgehassten Verwandten Wunderbares über uns zu sagen haben.«
Sussman seufzte. »Vielleicht haben Sie ja recht.«
»Selbstverständlich haben wir recht.« Elizabeth tätschelte seine Hand, dann warf sie mir einen Blick zu. »Finden Sie nicht auch, er sollte zu seiner Beerdigung gehen, Charlotte?«
»Seine Beerdigung?« Ich war ebenfalls mit meinen Gedanken woanders. »Oh, ach so, ja, klar. Wer würde nicht gerne zu seiner eigenen Beerdigung gehen?«
»Na also«, rief Elizabeth und tätschelte abermals Sussmans Hand.
»Ich hoffe bloß, wir werden nicht auf demselben Friedhof beigesetzt«, meinte Barber. »Ich weiß nicht, ob ich Sie beide in alle Ewigkeit als Nachbarn ertragen würde.«
Sussman schnaubte, Elizabeth versetzte ihm einen Klaps.
»War doch nicht ernst gemeint«, sagte er und fing langsam an zu grinsen, während Elizabeth ihn neckisch anfunkelte. Dann wandte er sich mir zu. »Also, Schnitterin, was jetzt?«
Darüber musste ich erst mal nachdenken. »Erstens, für Sie immer noch Ms Schnitterin«, antwortete ich und stach ihn mit dem Zeigefinger.
Er gluckste.
»Und zweitens sollte ich mal einen Blick in Ihre Akten zu diesem Fall werfen.«
»Geht klar«, sagte Elizabeth. »In unseren Büroräumen ist ein Schlüssel für den Notfall versteckt.«
»Ah«, machte ich, hob die Hände und wand mich auf meinem Platz wie ein Drittklässler mit einer Harnwegsinfektion. »Liegt der unter einem dieser Steine, die wie echt aussehen, aber nicht echt sind, weil sie nachgemacht sind?«
»Nein«, antworteten alle drei gleichzeitig.
»Oh, tut mir leid. Fahren Sie fort«, sagte ich zu Elizabeth, da ich ihr ins Wort gefallen war.
»Und für den Fall, dass Nora nicht da ist, geben wir Ihnen den Sicherheitskode. Wenn sie da ist, werden Sie ohne Durchsuchungsbeschluss allerdings an gar nichts herankommen.«
»Stimmt. Daran hatte ich nicht gedacht. Aber Onkel Bob kann mir sicher einen besorgen.«
»Wenn nicht«, fiel Sussman ein, »könnten Sie auch nachts einbrechen, um sich die Akten zu beschaffen.«
Wir wandten uns ihm zu. Er wirkte eigentlich gar nicht wie jemand, der es auf einen Einbruchsdiebstahl ankommen lassen würde.
»Was
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