Das Flüstern der Toten (German Edition)
wandte sich ab, lauschte, eilte dann auf mich zu und umklammerte mit seinen fleischigen Händen meine Arme. Ich zuckte zusammen, hatte aber keine Angst. Rocket würde mir nie etwas tun. Dann wurde sein Griff fester, sodass ich beinahe aufgeschrien hätte. Vielleicht hatte ich etwas zu voreilig geurteilt.
»Rocket«, sagte ich beruhigend, »Lieber, du tust mir weh.«
Darauf ließ er abrupt los und zog sich ungläubig zurück, als würde ihn verblüffen, was er gerade getan hatte.
»Schon gut«, sagte ich, ohne mir die schmerzenden Arme zu reiben, weil er sich dadurch bloß noch schlechter gefühlt hätte. »Schon gut, Rocket, du hast das ja nicht gewollt.«
Während er verschwand, huschte ein Ausdruck des Entsetzens über sein Gesicht. Das Letzte, das ich hörte, waren vier Worte: »Ihm ist das egal.«
8
Männer haben auch Gefühle. Aber … wen interessiert das?
– Inspirierendes Poster
Die Sonne hing ein paar Augenblicke lang über Nine Mile Hill, verlor das Interesse und glitt dann dahinter. Ich saß in Misery, meinem Jeep, und wartete darauf, dass die Skyline die Sonne vollends verschluckte, um endlich meinen Einbruch in Angriff nehmen zu können. Doch je länger ich wartete, desto mehr dachte ich an Reyes. Und je mehr ich an Reyes dachte, desto größer wurde meine Verwirrung.
Rocket kannte seinen Namen, aber hieß das wirklich, dass er gestorben war? Konnte das nicht etwas ganz anderes bedeuten? Ich hatte noch nie zuvor erlebt, dass Rocket Angst hatte, und das jagte wiederum mir Angst ein. Außerdem schien er etwas vor mir zu verbergen. Aber zwischen Rockets lichten und weniger lichten Momenten zu unterscheiden war so gut wie unmöglich.
Auf der Habenseite stand, dass ich nun wusste, dass Marsianer nicht zu Menschen werden durften, bloß weil sie unser Wasser trinken wollten. Aber da es gar keine Marsianer gab, nahm ich an, dass das ein schräger Vergleich gewesen war. Also wen konnte man mit Außerirdischen vergleichen? Es musste sich um jemanden handeln, der sich gegen die Norm stellte. Da fielen mir eine Menge Leute ein, doch ich war mir eigentümlich sicher, dass Reyes weder ein Steuerprüfer noch Mitglied der Manson Family war. Gott sei Dank, denn Hakenkreuze kann man sich nicht so einfach in die Stirn stechen lassen, wie man vielleicht meint.
Womöglich war aber das Wasser der schwierigere Teil des Rätsels. Wofür stand das Wasser? Was könnte jemand, der außerhalb des gesellschaftlich Akzeptierten lebte, ebenso dringend wollen wie der Marsianer das Wasser? Geld? Anerkennung? Macht? Enchiladas mit grünem Chili? Ich hatte keine Ahnung. Was schon mal vorkam. Zu meiner Verteidigung sagte ich mir, dass Rockets Vergleich echt blöde gewesen war. Und Roswell war einfach zu nah, als dass ich über außerirdische Invasoren logisch nachdenken konnte.
Aber über den Fall Weir konnte ich logisch nachdenken. Sein Neffe lebte noch, und ich hegte den Verdacht, dass er James Barilla, den Jungen, der in Weirs Hinterhof gestorben war, gekannt hatte. Es musste eine Verbindung geben. Vor allem, weil ich es so wollte. Und wo immer die Verbindung lag, Teddy steckte deshalb in Schwierigkeiten.
Wo, zum Teufel, war Angel, wenn ich ihn mal brauchte? Er blieb sonst nur selten so lange weg. Wie sollte ich ohne übernatürliches Ermittlungsteam übernatürliche Ermittlungen anstellen? Namentlich ohne mein Angel-Team, das genau genommen nur aus Angel bestand. Aber wenn ich von einem Team sprach, konnte ich Sachen wie » Team schreibt man nicht mit i-c-h « sagen. Ich stand nun mal auf Sprüche wie den. Wie ich so dasaß, ging mir auf, dass ich einiges mehr an Beinarbeit vor mir hatte, als ich mir beim Kauf meiner Stiefel hätte träumen lassen.
Auf dem Weg von der Anstalt hierher hatte ich den Chefermittler im Fall Weir angerufen. Er war ein Kumpel von Onkel Bob, hielt aber nicht allzu viel von mir. Vermutlich ging ich ihm auf den Zeiger. Wenn ich’s drauf anlegte, konnte ich ganz schön nerven. Ich nahm an, dass er Onkel Bob entweder seinen Erfolg neidete – und meinen Anteil daran – oder dass er einfach nicht auf coole Bräute mit klarer Kante stand. Wahrscheinlich war beides der Fall.
Unser Gespräch war schnell erledigt. Detective Anaya antwortete knapp und rasiermesserscharf auf den Punkt. Seinen Angaben nach hatte das APD im Zusammenhang mit dem Fall ebenfalls nach Teddy gesucht, aber nach einem toten Teddy, um Mark Weir einen weiteren Mord anhängen zu können. Diese Ermittlung hatte zwangsläufig in eine
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