Das Flüstern der Toten (German Edition)
parkten mehrere Autos, Leute kamen und gingen, die leise miteinander sprachen. Anders als in Filmen waren jedoch längst nicht alle schwarz gekleidet und weinten. Na ja, manche schon. Manche lachten aber auch über dies und das, unterhielten sich angeregt gestikulierend und begrüßten andere Besucher mit weit offenen Armen.
Ich lief verlegen zur Vordertür und trat ein. Niemand hielt mich auf, während ich mich durch die Menge zur Treppe schlängelte. Über einen dicken, beigefarbenen Läufer stieg ich langsam in den ersten Stock hinauf.
Dort stand eine Tür, vermutlich zum Schlafzimmer, einen Spaltbreit offen, und man hörte jemanden schluchzen. Ich klopfte vorsichtig an. »Mrs Sussman?«, rief ich und schob mich hinein.
Patrick schaute mich überrascht an. Er lehnte am Fenster. Auf dem Bett saß seine Frau, neben ihr eine Freundin in Trauerkleidung, die tröstend einen Arm um ihre Schulter gelegt hatte.
Sie funkelte mich mit kalten Natteraugen an. Oh-oh. Da verteidigte jemand sein Revier.
»Wenn es ihr recht ist, würde ich mich gerne mal mit Mrs Sussman unterhalten«, sagte ich.
Die Frau schüttelte den Kopf. »Nicht jetzt.«
»Nein, schon gut, Harriet«, meldete sich Mrs Sussman zu Wort. Sie hob den Blick zu mir, ihre großen braunen Augen waren gerötet, ihr blondes Haar hatte sie achtlos zurückgekämmt. Sie war auf eine Art schön, die Männern zuerst nicht auffällt. Eine sanfte, ehrliche Attraktivität. Ich hatte den Eindruck, dass sie aufrichtig lächeln und offen lachen würde.
»Mrs Sussman«, begann ich und beugte mich vor, um ihre Hand zu nehmen. »Ich heiße Charlotte Davidson. Ihr Verlust tut mir furchtbar leid.«
»Vielen Dank.« Sie schnäuzte sich in ein Taschentuch. »Kannten Sie meinen Mann?«
»Ich habe ihn erst kürzlich kennengelernt, er war ein wunderbarer Mensch.« Irgendwie musste ich ihr mein Erscheinen erklären.
»Ja, das war er.«
Ich achtete nicht auf die ätzenden Blicke der Freundin und sprach weiter: »Ich bin Privatdetektivin, wir haben zusammen an einem Fall gearbeitet; jetzt helfe ich der Polizei von Albuquerque, den Mord an Ihrem Mann aufzuklären.«
»Ich verstehe«, sagte sie überrascht.
»Ich glaube kaum, dass jetzt der passende Zeitpunkt dafür ist, Ms Davidson.«
»Aber nein«, widersprach Mrs Sussman. »Das ist genau der richtige Zeitpunkt. Hat die Polizei schon etwas herausgefunden?«
»Wir gehen ein paar vielversprechenden Hinweisen nach«, antwortete ich ausweichend. »Ich wollte Sie lediglich wissen lassen, dass wir sehr hart an diesem Fall arbeiten und dass«, ich wandte mich Sussman zu, »Ihr Gatte zuletzt nur von Ihnen gesprochen hat.«
Sie fing wieder zu schluchzen an, Harriet machte sich sofort daran, ihre Freundin zu trösten. Auf Sussmans Gesicht erschien ein dankbares Lächeln.
Nachdem ich ihr meine Karte ausgehändigt und mich verabschiedet hatte, bedeutete ich Sussman, draußen zu mir zu stoßen.
»Das war heikel.«
Wir standen, an Misery gelehnt, vor seinem Haus und beobachteten eine gelegentlich vorbeistreifende Katze. Der Wind hatte aufgefrischt. Ich bekam in der Kälte eine Gänsehaut und schlang wärmend die Arme um mich, froh um den Pullover, den ich unter meiner Lederjacke anhatte.
»Tut mir leid«, gab er zurück. »Ich wollte ja mit den anderen zurückkommen, aber … «
»Machen Sie sich deshalb keine Gedanken. Sie haben jede Menge um die Ohren. Ich verstehe das.«
»Was haben Sie herausgefunden?«
Mein Bericht schien ihn ein wenig aufzumuntern. »Sie glauben also, es geht um Menschenhandel?«
»Wir haben einen einigermaßen funktionsfähigen Plan, falls Sie dabei sein wollen.«
»Klar.« Gut. Offenbar ging es ihm besser. Er dachte einen Moment nach, dann fragte er: »Kann ich bis dahin in Ihren Körper springen und ein bisschen mit meiner Frau rummachen?«
Ich unterdrückte ein Grinsen. »So läuft das leider nicht.«
»Könnten Sie dann nicht mit meiner Frau rummachen und so tun, als wäre ich in Ihrem Körper?«
»Nein.«
»Ich kann Sie bezahlen. Ich habe Geld.«
»Über wie viel reden wir denn?«
Ich schlich mich noch einmal in die Anwaltskanzlei Sussman, Ellery und Barber, legte die USB-Sticks in Barbers Schreibtisch und sah mich, für den Fall, dass ich irgendwas übersehen hatte, noch mal rasch um. Nora war nicht da gewesen, und das war gut so. Sie konnte also nicht mitbekommen haben, dass die Datenträger verschwunden waren, und mir deshalb auch keinen Ärger machen.
Also weiter zu Reyes’
Weitere Kostenlose Bücher