Das Flüstern der Toten (German Edition)
paar, aber die hat sie für Sie aufgehoben.« Ich blieb stehen und musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Offenbar meint sie, dass es für Sie noch Hoffnung gibt.«
Er ließ erstaunt Luft ab, als hätte sein neues Wissen ihn tief getroffen, dann lehnte er sich gegen Misery. »Aber wie … wie stellen Sie das bloß an … ?«
»Ist ’ne lange Geschichte«, antwortete ich, während ich Misery abschloss und mich auf den Weg zum Vordereingang meines Wohnhauses machte.
»Warten Sie«, rief er und trabte hinter mir her. »Sie sagten doch, Sie wüssten, wo ich die drei Dinge finde, die ich mir im Leben am meisten wünsche. Aber das waren erst zwei .«
Er zweifelte noch. In seinem Hirnkasten arbeitete es mächtig, während er dahinterzukommen versuchte, woher ich das alles wusste.
»Ach ja.« Ich klemmte mir sämtliche Tüten unter einen Arm und kramte mit der anderen Hand in meiner Handtasche, die ich mir über die Schulter gehängt hatte. »Oh, nein, bitte«, sagte ich, und jedes meiner Worte triefte vor Sarkasmus, »helfen Sie mir bloß nicht mit den Einkaufstüten oder so.« Er verschränkte darauf grinsend die Arme vor der Brust. Warum machte ich mir überhaupt die Mühe? Schließlich zog ich einen Stift aus der Tasche. »Geben Sie mir Ihre Hand.«
Er streckte sie mir hin und rückte mir, als ich ihm eine Telefonnummer in die Handfläche kritzelte, weiter auf die Pelle. Und noch weiter.
Nachdem er die Nummer mit krauser Stirn studiert hatte, setzte er ein entschieden boshaftes Grinsen auf und kam noch ein Stück näher. »Das ist aber nicht, was ich mir am meisten wünsche.«
Ohne Zögern schloss ich die Lücke zwischen uns und sah ihm tief in die Augen, womit ich ihn zwar aus dem Konzept brachte, zugleich aber ein noch breiteres Grinsen erntete. »José Ontiveros.«
Er stutzte, und das Grinsen fiel ihm aus dem Gesicht. Abermals blickte er in seine Handfläche.
»Er ist in Corpus Christi, einem Asyl, allerdings ist er viel unterwegs. Meine Assistentin hat zwei Stunden benötigt, um ihn aufzuspüren, selbst mit den Informationen, die Ihre Tante uns gegeben hat.«
Er war bass erstaunt und starrte auf die Nummer in seiner Hand. »Zwei Stunden?«, fragte er endlich. »Ich suche meinen Bruder seit … «
»Zwei Jahren, ich weiß. Das hat mir Ihre Tante erzählt.« Wieder wechselte ich die Einkaufstüten, mein Arm zitterte schon unter dem Gewicht. »Und nur für den Fall, dass Sie noch irgendwelche Zweifel haben, jawohl, Ihre tía Ysenia schaut Ihnen über die Schulter. Ich soll Ihnen ausrichten, dass Sie Ihr Leben endlich in den Griff bekommen, sich nicht dauernd in die albernsten Schlamassel manövrieren sollen – was übrigens nicht ihre Worte sind. Und Sie sollen Ihren Bruder ausfindig machen, weil er nur noch Sie hat.«
Nachdem ich meinen Teil der Abmachung erfüllt hatte, drehte ich mich um und ging ins Haus, ehe er mich erneut anzubaggern versuchte. Er hatte nun einiges zu bedenken.
Als ich auf meiner Etage aus dem Aufzug trat, fiel mir sofort auf, wie düster es auf dem Korridor war. Der Hausverwalter hatte schon seit meinem Einzug immer wieder Probleme mit der Elektrik in diesem Stockwerk, daher stieg meine Wachsamkeit nur um ein, zwei Striche auf der Wachsamkeitsskala.
Als ich nach meinen Schlüsseln suchte, drang aus der verdunkelten Ecke neben meiner Wohnungstür eine Stimme an mein Ohr.
»Ms Davidson?«
Schon wieder? Musste das sein?
Seit halb neun heute Morgen war meine Geduld für Leute, die mich umbringen oder wenigstens übel zurichten wollten, bereits erschöpft. Kurz darauf hatte ich mich bewaffnet. Also zog ich jetzt meine Glock und richtete sie auf die dunkle Ecke. Wer immer dort auf mich gewartet hatte, war nicht tot, denn sonst hätte ich ihn auch trotz Dunkelheit gut sehen können. Dann trat ein Junge vor, und mir stockte der Atem. Teddy Weir. Unmöglich, ihn nicht zu erkennen. Er sah genauso aus wie sein Onkel.
Er streckte die Hände zur Decke und versuchte so harmlos zu wirken wie irgend möglich.
Ich ließ meine Waffe sinken.
»Ich wollte Sie nicht schlagen, Ms Davidson.«
Ich hob erneut die Kanone und wölbte verwundert die Augenbrauen. Ich überlegte, ob ich ihm die Einkaufstüten an den Kopf werfen und das Weite suchen sollte, aber die Avocados hatten einen Haufen Geld gekostet. Dass ich aber auch dermaßen auf Guacamole abfahren musste.
Er blieb wie angewurzelt stehen und hob die Hände noch höher. Obwohl erst sechzehn, war er schon zehn Zentimeter größer als ich.
»Ich
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