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Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition)

Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition)

Titel: Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Tremayne
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der Amerikaner das Anwesen zu bewirtschaften, geriet aber in Streit mit Anhängern der Irischen Landliga, die sich damals gegen die Großgrundbesitzer auflehnten und auf radikale Veränderung der Pachtgesetze drängten. Zu jener Zeit kam ein neues Wort in Gebrauch – Boycott –, als die Landliga Charles Boycott, den Gutsverwalter von Lord Erne zu Lough Mask ächtete. Der Besitzer von Tullyfane zog seine Konsequenzen und überließ Haus und Grundstück dem Verfall.
    Da ich nicht wusste, was mit James Phillimore geschehen war, konnte ich den Schuldigen nicht überführen, obwohl ich mit jeder Faser meines Wesens davon überzeugt war, dass dieser nur James Moriarty sein konnte. Ich bin mir völlig sicher, dass er von Anfang an niederträchtige Pläne schmiedete, um sich Tullyfane anzueignen und den Rest seines Lebens als reicher Mann zu genießen. Er war nicht in die bedauernswerte Agnes verliebt, sondern betrachtete sie lediglich als Mittel zum Zweck. Erst versuchte er, den Colonel durch den vermeintlichen Spuk in den Wahnsinn zu treiben. Als ihm das nicht gelang, hat er auf raffinierte Art und Weise den alten Mann ermordet und die Leiche beseitigt, nachdem er Abschiedsbrief und Testament gefälscht hatte. Sobald er sich Tullyfane Abbey unter den Nagel gerissen hatte, hatte er für Agnes keine Verwendung mehr.
    Wie er den Fluch inszenierte, war mir nicht ganz klar, bis mir einige Jahre später von einem seltsamen Vorfall berichtet wurde.
    Es ist noch nicht lange her, dass ich in London Bram Stokers jüngeren Bruder George traf. Wie alle Stoker-Brüder, ausgenommen Bram, hatte er Medizin studiert und war Absolvent des Royal College of Surgeons in Dublin. Er hatte kürzlich eine junge Dame aus der Grafschaft Kerry geheiratet, übrigens eine Schwester der McGillycuddys of the Reeks, eines der alten gälischen Adelsgeschlechter. Es war George, der mir unversehens das fehlende Puzzle-Stück lieferte. Sein Schwager, Denis MacGillycuddy, hatte ihm folgende Geschichte erzählt:
    Ungefähr ein Jahr nach dem Verschwinden des Colonels hatte man in einem stillgelegten Minenschacht im Reeks-Gebirge die Leiche eines halbwüchsigen Jungen gefunden. Die Reeks sind, wie du vermutlich weißt, die höchsten Berge Irlands und befinden sich auf der Iveragh-Halbinsel. Tullyfane Abbey liegt im Schatten der Berge.
    Die Leiche des Jungen war aufgrund der eisigen Temperaturen im Schacht einigermaßen gut erhalten. Zufälligerweise hielt sich der berühmte Dubliner Chirurg, Dr. John MacDonnell, der erste irische Mediziner, der je einen Patienten unter Narkose operierte, gerade in Killarney auf. Da der örtliche Leichenbeschauer eine Absonderlichkeit bemerkt hatte, erklärte er sich einverstanden, die Autopsie durchzuführen.
    Dem Leichenbeschauer war aufgefallen, dass der Körper des Jungen im Dunkeln leuchtete.
    MacDonnell stellte fest, dass der gesamte Leichnam mit einer wachsähnlichen gelben Substanz beschichtet war. Dies war auch die Todesursache gewesen: Die Poren waren verstopft, und die Haut konnte nicht atmen. Das arme Kind war erstickt. Die Substanz erwies sich als Phosphor, der in den Höhlen der Umgebung zu finden war.
    Als ich die Geschichte hörte, erkannte ich sofort den Zusammenhang zu den Ereignissen in Tullyfane Abbey.
    Vermutlich handelte es sich bei dem Knaben um eines der unglückseligen Waisenkinder, die auf Irlands Landstraßen umherziehen. Vielleicht waren seine Eltern nach der großen Kartoffelmissernte 1871 gestorben, die Hunger und Typhus unter der Landbevölkerung zur Folge hatte.
    Moriarty hatte das Kind wohl gezwungen oder überredet, die Rolle des »Gespenstes« zu spielen. Der Phosphor auf seiner Haut hatte ihm jenes überirdische Leuchten verliehen. Als er die Dienste des Knaben nicht länger benötigte, hatte Moriarty ihn sterben lassen und seine Leiche in der stillgelegten Mine in den Bergen versteckt.
     
    Nachdem Holmes zum Ende seines Berichts gekommen war, zögerte ich kurz, die Frage zu stellen, die Holmes meines Erachtens nicht hinreichend beantwortet hatte. Ich tastete mich heran, indem ich zunächst bemerkte: »Wenn wir davon ausgehen, dass Moriarty diesen teuflischen Plan ersann, um sich zu bereichern, und dass du erst im Nachhinein herausgefunden hast, wie er den ›Spuk‹ inszenieren konnte …«
    Holmes sog scharf den Atem ein und sagte barsch: »Dieses Beispiel für das Versagen meiner detektivischen Fähigkeiten bleibt unter uns, Watson!«
    »… Was ich aber nicht verstehe«, fuhr ich fort,

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