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Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition)

Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition)

Titel: Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Tremayne
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ausrichten.«
    Holmes pflichtete mir bei. Wir wollten soeben das Haus verlassen, als uns Superintendent Mallon begegnete. Er schien überrascht, dass wir noch da waren. »Ich könnte Sie zur Kildare Street begleiten«, bot er an.
    Ich war mir sicher, dass Holmes ablehnen würde, und wunderte mich, als ich ihn sagen hörte: »Danke, sehr freundlich, Superintendent.«
    »Die Stadt ist in Aufruhr, weil heute der neue Vizekönig kommt«, erklärte Mallon. »Es heißt, Gladstone habe vollends den Verstand verloren und sich auf einen Kuhhandel mit den Feniern eingelassen. Angeblich hat er die politischen Führer aus der Haft entlassen und ihren Forderungen hinsichtlich der Veränderung der Pachtgesetze zugestimmt. Als nächstes wird es hier auch noch ein Parlament geben! Reicht man diesen Feniern den kleinen Finger, nehmen sie die ganze Hand. Deswegen soll Lord Cavendish Lord Cowper als Vizekönig ersetzen.«
    Obwohl ich mich nicht näher mit der irischen Politik befasst hatte, wusste ich einiges über die Auseinandersetzungen auf dem Lande – eine Reaktion der irischen Pachtbauern auf die Verschlechterung ihrer Bedingungen. Da hatte es zum Beispiel den allseits bekannten Fall von Charles Boycott gegeben, jenes Gutsverwalters von Lord Earne, der von seinen Arbeitern und der örtlichen Gemeinde geächtet wurde. Dies war Ergebnis einer Kampagne der Irischen Landliga und der Irischen Nationalpartei, die beide die Selbstverwaltung Irlands anstreben.
    »Wenn Cavendish den Feniern nachgibt, wird mit Spannungen zu rechnen sein«, dozierte Mallon. »Man braucht nicht viel Phantasie, um zu wissen, wes Geistes Kind er ist. Man munkelt, er sei sogar mit Parnells Frau verwandt. Während Cavendish und Burke, sein neuer Staatssekretär, hier eintreffen, sind die politischen Führer der Fenier – Parnell, Davitt, Sexton und Dillon – bereits auf dem Weg nach London, um mit Gladstone zu verhandeln.«
    Wenn Mallon von »Feniern« sprach, meinte er, wie ich nun festgestellt hatte, sämtliche Verfechter einer Regierung, die in die Hand der Iren gelegt werden sollte, und nicht nur die Irischen Republikaner. Seine Stimme dröhnte eintönig daher, und ich war überzeugt, dass sich Holmes, zutiefst besorgt über das Verschwinden seines Bruders, nicht im geringsten für die politischen Ansichten des Superintendents interessierte.
    Als wir wieder allein waren, fragte ich ihn, warum er es zugelassen hatte, dass uns Mallon in die Kildare Street begleitete. »Aber Watson«, erwiderte er überrascht, »hast du etwa nicht die schwarze Kutsche mit der weißen Jakobsmuschel im Wappen bemerkt? Sie stand auf der gegenüberliegenden Straßenseite.«
     
    Der Kildare Street Club befand sich in einem opulenten neugotischen Bau aus rotem Backstein am Ende der gleichnamigen Straße. Dieser Klub war Vertretern der irischen Oberschicht vorbehalten. Katholiken und Befürwortern der Selbstverwaltung war der Beitritt verwehrt. Armeeoffiziere waren erst ab dem Rang eines Majors zugelassen, Angehörige der Marine nur, wenn sie zumindest Kapitänleutnant waren. Alle anderen durften die heiligen Hallen nicht einmal betreten. Mycroft Holmes war ein geachtetes Mitglied des Clubs, und sein jüngerer Bruder Sherlock wurde mit offenen Armen empfangen.
    Den Vormittag verbrachten wir auf dem Hauptpostamt in der Sackville Street mit Blick auf die Nelson-Säule, eine meines Erachtens schlechte Kopie des gleichnamigen Monuments am Londoner Trafalgar Square. Ich richtete ein wachsames Auge auf alle vorüberfahrenden Kutschen, doch die Kalesche mit dem Muschelwappen war weit und breit nirgendwo zu sehen. Wir fanden heraus, dass das Wappen niemand geringerem als Lord Maynooth, einem Wortführer der liberalen Regierung, gehörte. Ich sagte Holmes, dass jemand wie Maynooth meiner Meinung nach keinesfalls für die Entführung seines Bruders verantwortlich sein könne und dass sich O’Keefe sicherlich getäuscht habe, was das Wappen betraf, doch mein Freund war der Ansicht, wir sollten dem Herrn noch am selben Tag einen Besuch abstatten.
    Unsere Nachforschungen nach dem Absender des mysteriösen Telegramms blieben ergebnislos. Enttäuscht kehrten wir in den Klub zurück, um zu Mittag zu speisen. Nach dem Essen wurde ich schläfrig. Schließlich hatte ich in der Nacht von Donnerstag auf Freitag zum letzten Mal geschlafen, und jetzt war es Samstagnachmittag. Als Holmes bemerkte, dass mir die Augen zufielen, redete er mir zu, mich hinzulegen.
    »Unsinn, alter Junge«, protestierte ich.

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