Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition)
sagen …«, begann Roystan. Er blickte nachdenklich in die Runde. »Ich will sagen, dass dies nicht der Stein ist, den Sie mir vor wenigen Minuten zeigten.«
»Was macht Sie da so sicher?«, wollte Gregg wissen. »Ich kann keinen Unterschied erkennen.«
Royston hielt den Stein ans Licht. »Schauen Sie, hier in der Mitte ist ein schwarzer Punkt, ein Makel, den der andere nicht aufwies. Das wäre ich bereit zu beschwören.«
»Dann handelt es sich hier um eine geschickte, aber wertlose Nachbildung«, bemerkte Pater Cassian. »Wo ist der echte Stein?«
Major Foran war rot angelaufen, als würde ihn sogleich der Schlag treffen. »Eine Nachbildung!«, stieß er hervor. »Hol’s der Teufel!«
Der Resident war sprachlos.
»Bestimmt hat der Hindu den echten Stein aus dem Tresor gestohlen und mit diesem ersetzt«, stammelte Lieutenant Tompkins aufgeregt. »Das Auge Shivas muss er noch bei sich haben.«
»Der Stein ist an der Leiche oder im Garten«, knurrte Foran. »Mit deiner Erlaubnis gehe ich Devi Bhadra holen. Er soll alles durchsuchen.«
»Tu das, Bill«, antwortete Lord Chetwynd Miller mit ausdruckloser Stimme. Er stand sichtlich unter Schock.
Jayram zögerte einen Augenblick, ehe er sich zu Wort meldete: »Verzeihung, Eure Exzellenz. Am Leichnam des Priesters aus Betul wird man den Stein nicht finden.«
Lord Miller blickte ratlos in die ruhigen, tiefbraunen Augen des Inspektors. »Das verstehe ich nicht«, sagte er langsam.
Jayram lächelte nachsichtig. »Weil der Priester aus Betul nicht den echten Stein, sondern die Fälschung gestohlen hat. Der echte Rubin hat diesen Raum nicht verlassen.«
»Das ergibt keinen Sinn«, mischte sich Pater Cassian ein. »Na türlich wurde der Rubin gestohlen! Lord Miller kann bezeugen, dass ihm der echte Stein zu treuen Händen übergeben wurde, und Royston sagte soeben, dass der Stein, den er betrachtete, kurz bevor wir erfuhren, dass Devi Bhadra einen Dieb erwischt hatte, ebenfalls echt war. Hier im Esszimmer hat der Hindu Major Foran den Rubin aus der Hand gerissen. Seitdem ist er verschwunden. Nur der Dieb kann den echten mit dem gefälschten Stein vertauscht haben.«
Foran kletterte durch das beschädigte Fenster zurück ins Esszimmer. Draußen im Garten, wo der Tote gelegen hatte, sah man Devi Bhadra den Boden absuchen.
»Der Tote hatte nichts bei sich«, erklärte Foran gereizt. »Devi Bhadra schaut nach, ob etwas auf dem Rasen liegt.«
»Unser Inspektor Jayram hält das für Zeitverschwendung«, bemerkte Gregg ironisch.
Foran zog skeptisch eine Augenbraue hoch.
»Jayram«, erläuterte Pater Cassian, »ist der Überzeugung, dass der Rubin diesen Raum nicht verlassen hat und dass es eine Fälschung war, die der Hindu zu entwenden versuchte.«
Jayram nickte und lächelte beifällig. »Genauso war es«, bestätigte er.
»Woher wollen Sie das wissen, Inspektor?«, fragte Lord Chetwynd Miller gequält.
»Das sagt mir mein gesunder Menschenverstand, Sir. Der echte Rubin war hier im Esszimmer. Dann erfuhren wir, dass ein Einbrecher gefangen wurde, nachdem er in Ihrem Arbeitszimmer vergeblich versucht hatte, den Stein zu stehlen – vergeblich, weil der Stein ja hier bei uns war. Devi Bhadra und der Sepoy führten den Mann ins Esszimmer und hielten ihn fest, bis zu dem Augenblick, da er nach dem vermeintlichen Rubin griff und flüchtete. Er muss davon ausgegangen sein, dass es sich um den echten Stein handelte.«
»Klingt einleuchtend«, bemerkte Sir Rupert, »aber Sie können nicht mit Sicherheit ausschließen, dass er die Fälschung bei sich hatte und den Rubin austauschte.«
»Doch, das kann ich. Devi hat uns zweimal versichert, dass er den Mann gründlich durchsucht und nichts gefunden hat. Hätte der Priester des Virabhadra-Tempels etwas in seiner Kleidung versteckt gehabt, so hätte es der Wirtschafter seiner Exzellenz bereits entdeckt, ehe er uns den Missetäter vorführte.«
»Was ist also geschehen, Jayram?«, höhnte Gregg. »Hat der gute alte Shiva einen Zaubertrick angewandt, um wieder in Besitz seines heiligen Auges zu kommen?«
Jayram lächelte schmallippig. »Zaubertricks waren hier nicht im Spiel, Mr. Gregg«, sagte er.
»Was dann?«
»Betrachten Sie es einmal vom logischen Standpunkt. Acht Personen saßen zusammen an diesem Tisch. Der echte Stein wird hereingebracht und herumgereicht. Mittendrin werden wir gestört, weil Devi Bhadra einen Einbrecher ertappt hat. Anschließend stellen wir fest, dass uns eine Fälschung vorliegt. Warum? Weil
Weitere Kostenlose Bücher