Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition)
Lösung«, bemerkte er anerkennend. »Eine christliche Lösung. Alles vergeben, nicht wahr?«
Ram Jayram grinste schief. »Eine hinduistische Lösung«, widersprach er freundlich. »Einigen wir uns darauf, dass man manchmal der Gerechtigkeit mehr gehorchen muss als dem Gesetz.«
Mord in der Luft
Jeff Ryder, der Purser der Boing 747, Global-Airways-Flug GA 747, bemerkte Sally Beechs besorgte Miene, sobald diese die erste Klasse betrat. Er hatte die Senior Stewardess noch nie zuvor so verstört erlebt und versuchte, ihr durch einen Scherz das für sie typische verschmitzte Lächeln zu entlocken.
»Was ist los, Salles? Hat dich jemand aus der ersten Klasse angemacht?«
Sie schüttelte mit ernster Miene den Kopf und sagte: »Ich glaube, ein Fluggast hat sich in der Bordtoilette eingeschlossen.«
Jeff Ryder grinste und wollte soeben eine anzügliche Bemerkung folgen lassen, als sie ihn unterbrach: »Nein, es ist nicht so, wie du denkst. Ich habe die Befürchtung, dass ihm etwas zugestoßen ist. Er ist schon ziemlich lange dort drin, und sein Begleiter hat mich gebeten, nach ihm zu sehen. Ich habe an der Tür geklopft, aber er reagiert nicht.«
Ryder unterdrückte einen Seufzer. Dass sich Fluggäste in der Toilette einschlossen und nicht mehr herauskamen, geschah zwar selten, doch er hatte es schon erlebt. Einmal hatte er einen Texaner, der mehr als einhundertundzwanzig Kilo wog, aus der engen Kabine befreien müssen, woran er sich nur ungern erinnerte.
»Wie heißt denn der Fluggast?«
»Auf der Passagierliste ist er als Henry Kinloch Gray eingetragen.«
Ryder stöhnte. »Ausgerechnet der! Weißt du, wer das ist? Der Direktor von Kinloch Gray und Brodie, einem multinationalen Medienkonzern. Er hat den Ruf, seine Konkurrenten bei lebendigem Leib zu verspeisen. Mit kleinen Fischen wie uns …« Er verdrehte vielsagend die Augen. »Nun ja. Ich werde mal nachschauen.«
Mit Sally im Schlepptau begab er sich zu den Bordtoiletten der ersten Klasse. Es war niemand anderes in der Nähe. Er stellte sich vor die besetzte Kabine und rief mit gedämpfter Stimme: »Mr. Kinloch Gray? Alles in Ordnung, Sir?« Als er keine Antwort erhielt, klopfte er diskret an. Noch immer keine Reaktion.
»Weißt du, seit wann er da drin ist?«
»Sein Begleiter meint, seit etwa einer halben Stunde.«
Ryder zog eine Augenbraue hoch. Wieder sprach er durch die Tür, dieses Mal allerdings um einiges lauter: »Mr. Kinloch Gray, wir befürchten, dass es Ihnen nicht gut geht. Ich werde jetzt die Tür aufbrechen. Halten Sie, wenn möglich, bitte Abstand.«
Er hob den Fuß und trat auf der Höhe der Verriegelung kräftig gegen die Tür. Die Schrauben des primitiven Schlosses lösten sich aus dem Rahmen, die Tür öffnete sich einen Spaltbreit. Ryder versuchte, sie weiter aufzubekommen, stieß aber auf Widerstand. Nur mit Mühe gelang es ihm, sie so weit zu öffnen, dass er den Kopf in die Kabine stecken konnte. Er zog ihn jedoch sofort wieder zurück. Sein Gesicht war blass, und er starrte Sally an, ehe er sich soweit gefasst hatte, dass er sprechen konnte.
»Sieht aus, als hätte man ihn erschossen«, flüsterte er.
Die Vorhänge, die die Toiletten vom Sitzbereich trennten, wurden zugezogen. Moss Evans, der Copilot, war informiert worden und begab sich auf den Weg in die erste Klasse. Er war ein kräftig gebauter Mann mit silbergrauem Haar. Während er den Mittelgang entlangschritt, nickte und lächelte er den Fluggästen freundlich zu und versuchte, sich seine Verärgerung nicht anmerken zu lassen. Erst vor wenigen Minuten hatte der Flug den »point of no return« erreicht: Die Maschine hatte mehr als die Hälfte der Flugstrecke hinter sich gelegt und konnte nicht mehr umkehren. In vier Stunden sollte sie landen, und Evans missfiel die Vorstellung, eine ungeplante Zwischenlandung einzulegen und unnötig Zeit zu verlieren. Schließlich hatte er heute noch einen wichtigen Termin.
Ryder hatte gerade eine Durchsage gemacht, in der er die fadenscheinige Ausrede vorbrachte, dass die Bordtoiletten der ersten Klasse wegen »einer technischen Störung« außer Betrieb seien und die Fluggäste gebeten werden, die Toiletten in der zweiten Klasse zu benutzen. Wie man das eben so sagte. Nun wartete er zusammen mit Sally Beech auf Evans. Die beiden kannten sich gut; sie flogen bereits seit zwei Jahren zusammen. Der Copilot bemerkte, dass der Purser, sonst immer gut gelaunt, niedergeschlagen wirkte. Die junge Frau sah extrem blass aus, als stehe sie
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