Das Flüstern der verlorenen Seelen: Kriminalgeschichten mit Schwester Fidelma u. a. (German Edition)
eigenen Bruder meuchelt? So etwas auch nur zu denken, müsste jedem, der über den geringsten Anstand verfügt, zutiefst zuwider sein!«
»Und dennoch könnte es passieren«, entgegnete MacBeth ungerührt. »Am Hofe meines Großvaters werden allerlei absonderliche Dinge gesagt und getan. Ich bin überzeugt, mein überaus ehrgeiziger Cousin Duncan, der Sohn meiner Tante, würde nicht davor zurückschrecken, derartige Verdächtigungen in die Welt zu setzen, um sich den Thron zu sichern. Sein Vater, jener entartete Abt von Dunkeld, ist bestrebt, die gesamte Kirche gegen potenzielle Rivalen seines Sohns aufzuhetzen.«
»Ich fürchte, du hast recht«, stimmte Gruoch seufzend zu. »Ich selbst habe, wie du weißt, lange geglaubt, dein Großvater hätte den Mord an Gillecomgàin veranlasst. Er wiederum leistete Gerüchten Vorschub, die dir das Attentat zur Last legten.«
MacBeth senkte den Kopf. Er wusste, dass die Stimmen, die ihn des Mordes an Gillecomgàin beschuldigten, noch nicht verstummt waren. »Es wird noch mehr Gerede geben«, sagte er gewichtig, »wenn wir den Mord an deinem Bruder nicht so schnell wie möglich aufklären.«
Ein hochgewachsener älterer Herr stand an der Tür. Wie es schien, war er vor kurzem aus dem Tiefschlaf gerissen worden. Seine Haare waren zerzaust, und er sah aus, als hätte er sich in großer Eile angekleidet. Es war der Brehon.
»Garban hat mich über das tragische Ereignis informiert, gnädiger Herr«, sagte er mit gesenkter Stimme. Sein Blick huschte von MacBeth zu Gruoch und weiter zu der Leiche am Boden. Seine Augen glitzerten kalt im Kerzenschein. Ihrem Blick schien nichts zu entgehen.
«Ich bin froh, dass Ihr gekommen seid, Cothromanach. Jetzt seid Ihr gefragt! Wie ich soeben zu Lady Gruoch sagte, wird man versuchen, mir diesen Mord anzulasten. Wir brauchen Eure Aussage, dass bei der Untersuchung dieses Falls alle Regeln eingehalten wurden. Dann wird es niemand mehr wagen, mich zu verdächtigen.«
Die Züge des Brehon erstarrten. »Es gibt nur eine Wahrheit, und ich bin hier, um ihr zu dienen, Mylord.«
MacBeth nickte. »Ihr habt recht. Wir sollten uns an die Fakten halten. Sagte Euch Garban bereits, dass wir in Prinz Malcoms Kämmerer einen Mordzeugen haben?«
»Ja, mir ist bekannt, dass man bereits nach dem Mann geschickt hat.«
»Korrekt. Lady Gruoch und ich waren in unserem Schlafgemach, bis Garban mich holte. Wie mir meine Frau bereits versicherte, kann sie beschwören, dass ich die ganze Nacht an ihrer Seite war. Ich habe sie darauf hingewiesen, dass man ihre Aussage aufgrund ihrer Beziehung zu mir in Zweifel ziehen könnte.«
Der Brehon kräuselte spöttisch die Lippen. »Gibt es noch jemanden, Mylady«, fragte er, »der bezeugen kann, dass Ihr und Euer Gemahl das Schlafgemach nicht verlassen habt, bis dieser von Garban gerufen wurde?«
Gruoch dachte kurz nach, ehe sie nickte. »Vor knapp einer Stunde rief ich meine Kammerfrau Margreg und ließ mir Glühwein bringen, um besser einschlafen zu können. Als sie den Wein ans Bett brachte, sah sie, wie mein Gatte neben mir lag und schlummerte.«
MacBeth zog verwundert die Augenbrauen hoch. »Ich habe sie nicht gehört.«
»Du warst erschöpft von der gestrigen Jagd und dem üppigen Bankett.«
»Wohl wahr. Also kann Margreg bezeugen, dass ich, als sie den Wein brachte, tief und fest schlief? Und du sagst, das sei vor ungefähr einer Stunde gewesen?«
»Ja.«
MacBeth wandte sich an den Brehon. »Ich wurde erst vor einer Viertelstunde gerufen. Wenn die Tat kurz vorher verübt wurde, kann mich die Kammerfrau entlasten.«
»Warum glaubt Ihr, die Tat sei erst vor einer Stunde verübt worden?«, wollte der Brehon wissen.
»Ganz einfach. Weil es einen Zeugen gibt. Ich habe«, erklärte er Gruoch, »nach dem Kämmerer deines Bruders geschickt. Er wurde von dem Attentäter niedergeschlagen. Die fragliche Uhrzeit hat er bereits dem Oberkämmerer Garban mitgeteilt.«
Lady Gruoch blickte ihn überrascht an. »Der Kämmerer wurde von dem Mörder niedergeschlagen? Damit ist unsere Unschuld doch bewiesen!«
MacBeth seufzte. »Schon möglich«, erwiderte er leise, »aber die Wahrheit allein bringt böse Zungen noch nicht zum Schweigen.«
»Ihr sprecht so, als müsstet Ihr Euch verteidigen, als wäret Ihr bereits angeklagt und für schuldig befunden worden«, bemerkte der Brehon irritiert.
»Und so wird es auch kommen, wenn ich nicht den Beweis liefere, dass ich an diesem Mord nicht beteiligt war, Cothromanach! Deswegen sollt
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