Das Fluestern des Todes
war ein wenig enttäuscht – wie sie es schon als Kind gewesen war, wenn sich ein Gewitter langsam verzog.
Sie nippte an ihrem Cognac, an den sie sich inzwischen gewöhnt hatte, und sprach den Gedanken aus, der sie urplötzlich überkommen hatte. »Ich sollte ein Testament machen.«
Er nickte und sagte: »Ja. Am besten wenn du wieder zu Hause bist.«
»Kennen Sie denn niemanden hier? Was passiert, wenn mein Flugzeug abstürzt? Was, wenn mich noch jemand zu ermorden versucht?« Sie hatte noch nie über ein Testament nachgedacht, hatte es aber plötzlich sehr eilig damit – selbst wenn es außer ihrem Onkel und seinen zwei kleinen Söhnen niemanden gab, dem sie etwas vererben konnte. Sie wusste nicht mal, um welche Summe es sich handelte – nur die vage Andeutung, die Lucas gemacht hatte.
»Morgen ist Sonntag, aber vielleicht kann ich etwas arrangieren. Damit du ruhig schlafen kannst, bis du wieder daheim bist.«
»Wunderbar.« Sie trank den letzten Schluck und kuschelte sich ins Sofa. »Sie sollten Ihrer Tochter mal schreiben.«
»Wie denn? Ich kenne noch nicht mal ihren Namen.«
Als Ella aufwachte, lag sie unter einer Decke auf dem Sofa. Es war hell draußen – durch das Fenster sah sie den blauen Himmel. Sie hörte Geräusche aus der Küche und roch frischen Kaffee. Sie richtete sich auf, stellte aber fest, dass nicht Lucas, sondern Chris in der Küche hantierte.
Er sah sie und winkte ihr zu. Eine Minute später kam er mit einem Tablett, Kaffee und zwei Tassen. Er sah so ausgeruht aus, als habe er vom Sturm überhaupt nichts mitbekommen.
»Guten Morgen. Wie hast du geschlafen?«
»Geht so. Ich bin hier raufgekommen, weil der Sturm mich geweckt hat.«
»Ja, hat mir Lucas schon erzählt.«
»Und, ist er wach?«
Chris hob vielsagend die Augenbrauen. »Als ich aufgestanden bin, kam er gerade von einem Waldlauf zurück. Jetzt ist er schon wieder weg. Es würde nicht lange dauern, hat er gesagt.« Er küsste sie auf den Kopf und setzte sich. Sie schaute zur Lampe hinüber und stellte beim zweiten Hinsehen fest, dass das Foto verschwunden war. Sie fragte sich, warum er es wohl entfernt habe. Chris unterbrach ihren Gedankengang: »Es ist einfach wunderbar hier. Lucas meinte, wir könnten heute Nachmittag vielleicht einen Spaziergang machen, nur wir zwei.«
»Ich bin mir sicher, ihr werdet euch prächtig amüsieren.«
Chris lachte. Sie war versucht, in sein Lachen einzustimmen, fühlte sich aber irgendwie schuldig. Natürlich wusste sie, dass es dafür keinen Grund gab, aber sie lachte trotzdem: Sie hatte einen Witz gemacht, während ihre Eltern und Ben im Leichenschauhaus lagen.
Aus der Ferne hörte man ein Auto, und sie standen auf und gingen zum Balkon. Sie konnte es noch immer hören, auch wenn das Geräusch aus beträchtlicher Entfernung kam. Es klang, als würde es sich nähern, und für einen Moment fragte sie sich, was sie tun sollten, wenn es nicht Lucas, sondern ein weiterer Killer war. Andererseits hätte er sie nicht alleine gelassen, wenn ihnen hier draußen auch nur die geringste Gefahr gedroht hätte. Ein paar Minuten später kam dann auch sein Wagen den Feldweg hinunter. Wasserfontänen spritzten auf, wenn er durch ein Schlagloch fuhr.
Sie ging wieder hinein, als Lucas das Haus betrat. Er lächelte und sagte: »Dein Onkel und seine Familie sind in Sicherheit. Sie stehen unter Polizeischutz.«
»Haben Sie mit ihnen gesprochen?«
Lucas schien die Frage zu verblüffen, und er antwortete mit einem schlichten »Nein«.
»Trotzdem kann man nur dankbar für diese Nachricht sein«, sagte sie – und hörte doch gleichzeitig eine Stimme in ihrem Kopf, die fragte, warum es ihre Eltern und Ben – und nicht Simons Familie – getroffen habe. »Du solltest dich fertig machen«, sagte Lucas. »Wenn du es immer noch vorhast, können wir einen Freund von mir besuchen, der dir ein Testament aufsetzen kann.«
»Prima.« Chris sah sie fragend an, doch sie gab ihm nur einen Kuss und sagte: »Danke für den Kaffee.«
Sie ging unter die Dusche und zog sich anschließend einige der Klamotten an, die sie in Florenz gekauft hatten. Sie gehörten ihr, aber trotzdem hatte sie das Gefühl, als seien sie nur geliehen – als habe sie alles aus ihrer früheren Welt verloren und müsse nun wieder bei null anfangen. Das Einzige, was ihr noch blieb, war Chris – und vielleicht nicht mal er.
Er stand auf, als sie wieder ins Zimmer kam. »Möchtest du, dass ich mitkomme?« Er war nicht gerade begeistert, wollte die
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