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Das Fluestern des Todes

Das Fluestern des Todes

Titel: Das Fluestern des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Wignall
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ging unauffällig an dem Tisch vorbei, um einen Blick auf den Empfänger zu werfen.
    Der Name, den sie las, überraschte sie – nicht weil er ihr unbekannt war, sondern weil die Briefe ausnahmslos an einen S. Lucas adressiert waren. Sie drehte sich um und bemerkte, dass er sie von der anderen Seite des Zimmers aus beobachtete.
    »Lucas ist Ihr Nachname«, sagte sie und versuchte, sich die Peinlichkeit nicht anmerken zu lassen, dass er sie beim Spionieren erwischt hatte.
    »Ja.«
    »Wofür steht denn das S.?«
    »Stephen.«
    »Ist ja verrückt, aber ich dachte die ganze Zeit, dass Lucas Ihr Vorname ist.« Sie dachte für einen Moment nach und sagte dann: »Darf ich Sie Stephen nennen?«
    »Ich war schon immer Lucas. Vor vielen Jahren hat mich mal jemand Luke genannt, aber niemals Stephen.«
    »Was ist denn mit Ihren Eltern? Die müssen Sie doch sicher Stephen gerufen haben?«
    »Immer nur Lucas.« Sie wusste nicht, wie sie die Aussage interpretieren sollte, spürte aber, dass das Thema für ihn abgeschlossen war.«
    »Sie haben ’ne Menge Bücher«, sagte sie und versuchte, das Thema zu wechseln.
    »Dann solltest du mal die Schlafzimmer sehen!«, rief Chris, der gerade die Treppe heraufkam.
    Lucas lachte. »Sie sind nun mal meine Leidenschaft – nicht Raritäten und Sonderausgaben oder so, sondern einfach nur Bücher. Ich lese für mein Leben gern.«
    »Sie haben ein Superhaus«, sagte Chris.
    »Ja, ich mag’s auch.« Er schaute sich etwas um, unsicher, fast schon peinlich berührt. »Wie gesagt: Fühlt euch wie zu Hause. Ich werd gleich Pasta machen oder so was. Morgen führe ich ein paar Telefonate, um zu sehen, inwieweit sich der Staub gelegt hat – und wenn nichts dazwischenkommt, liefere ich euch am nächsten Tag in Zürich ab.« Er nickte, als wolle er sich selbst bestätigen, und ging in die Küche.
    Ella schaute erneut auf die ungeöffnete Post und fragte sich, wann er sie wohl öffnen, wann er seinen Anrufbeantworter abhören würde. Er machte fast schon den Eindruck, als lebe er wie ein Geist, den die Anforderungen des täglichen Lebens nicht mehr tangieren.
    Ella folgte Chris, der auf den Balkon getreten war. Sie schauten auf das langsam in der Finsternis verschwindende Panorama. Die Wälder verwandelten sich in schwarze Klötze, zwischen denen die verschleierten Wiesen wie Wolken schwebten. An einem klaren Tag konnte man sicher die Berge sehen, aber an diesem Abend hatte der dunkle Himmel alles unter sich begraben.
    Sie standen zunächst wortlos auf dem Balkon, bis Chris sagte: »Tut mir leid, wenn ich in den letzten eineinhalb Tagen keine große Hilfe war. Es kam ein Schock nach dem anderen, aber ich hätte aufhören müssen, wie …« Er hatte einen Frosch im Hals. Sie drehte sich zu ihm. Er grinste, räusperte sich und meinte: »Was ich damit sagen will: Sorry, dass ich so ein Arschloch war.«
    Sie schüttelte den Kopf und lehnte sich an Chris – presste sich noch näher an seinen Körper, als er seine Arme um sie legte. Es war alles, was sie brauchte: hier in seinen Armen zu stehen, seinen warmen Atem auf ihrem Nacken, seine Hände, die behutsam ihren Rücken massierten – mehr brauchte sie nicht, um sich sicher und geborgen zu fühlen.
    Sie lauschte dem Klang der Wassertropfen, die von den Bäumen fielen, dem Bellen eines Hundes aus weiter Entfernung, dann auch den kaum hörbaren, aber beruhigenden Geräuschen aus der Küche. Doch hier kam der Fluss ihrer Gefühle ins Stocken: Der Mann, der das Essen zubereitete, war Lucas – und die emotionale Oase, in der sie gerade gewesen war, war nichts als eine Fata Morgana.
    Auch beim Essen las Lucas weiter in seinem Buch. Ella und Chris saßen schweigend am anderen Ende des Tisches und warteten mit den Komplimenten über seine Kochkünste, bis sie fertig waren. Er bedankte sich und lehnte ihr Angebot ab, beim Abwasch zu helfen.
    »Spielt ihr Schach? Oder Backgammon?«, fragte er, als er aus der Küche zurückkam.
    »Ich spiele Schach«, sagte Chris, »Backgammon spielen wir beide.« Er nickte, ging zu einem Regal, holte ein ledernes Backgammon-Set heraus und öffnete es auf dem Kaffeetisch zwischen den beiden Sofas.
    »Wenn ihr was trinken wollt, bedient euch einfach«, sagte er und verzog sich mit seinem Buch auf einen Stuhl, der vor dem Fenster zum Balkon stand.
    Sie spielten Backgammon, während sie Lucas praktisch ignorierte. Doch sosehr sie sich auch bemühte, Ella konnte sich nicht konzentrieren. Das Spiel reichte nicht aus, um sie von den

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