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Das Fluestern des Todes

Das Fluestern des Todes

Titel: Das Fluestern des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Wignall
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durch die beiden Jungs, die man für eine Woche zu Lucys Eltern geschickt hatte.
    Also saß sie am Fenster und starrte in den Regen hinaus, der nun seit zwei Tagen fast ununterbrochen herunterprasselte. In ihren lichteren Momenten erinnerte sie sich an die Fahrt mit Lucas zu seinem Refugium, bei der ein ähnlich desolates Wetter geherrscht hatte. Doch die meiste Zeit verloren sich ihre Gedanken in Anfällen von Selbstmitleid, manchmal in deprimierenden Erinnerungen – doch immer häufiger im bohrenden Wunsch, die Täter erbarmungslos auszuradieren. Es war ein diffuses Verlangen, das sich da in ihre Eingeweide fraß, weil sie nicht einmal wusste, wer die Täter wirklich waren.
    Sie entwickelte einen schwelenden Hass auf die Polizei, die bei der Untersuchung keinerlei Fortschritte machte, hasste sich aber auch selbst, weil sie die einzige Überlebende war, weil nur sie die Tat noch rächen konnte – und trotzdem nichts unternahm. Sie empfand ihre Untätigkeit fast schon als Verrat.
    Sie hörte, wie unten eine Tür zugeschlagen wurde, dann leise Stimmen. Sie konnte nicht feststellen, wer es war, hatte aber das dumpfe Gefühl, dass über sie gesprochen wurde. Sie sprachen immer in diesem flüsternden, besorgten Tonfall über sie – als sei sie schwer krank oder selbstmordgefährdet.
    Die Stimmen verstummten für einen Moment, und sie versuchte vergeblich, weitere Geräusche auszumachen. Als es plötzlich an ihrer Tür klopfte, zuckte sie zusammen. Sie griff schnell zu ihrem Buch. »Herein«, rief sie mit gespielter Unbekümmertheit. Als die Tür geöffnet wurde, hielt sie sich das Buch vor die Nase, spähte aus den Augenwinkeln jedoch auf das Spiegelbild im Fenster, um einen ersten Aufschluss über die Identität des Besuchers zu bekommen.
    Der Umriss, den sie dort sah, ließ sie erneut zusammenzucken. Sie sprang völlig verwirrt auf. Ella fühlte sich wie eine Schlafwandlerin, die den Mann sieht, den sie zu lieben glaubt, gleichzeitig aber unfähig ist, sich an diese Liebe zu erinnern.
    Chris lief geradewegs auf sie zu, legte seine Arme um sie und drückte sie an sich. Sie ließ ihr Buch fallen, und erwiderte die Umarmung, als sie die Wärme seines Körpers spürte. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr – dass er sie vermisst habe, dass es ihm leidtue, nicht früher gekommen zu sein, erklärte ihr, warum er nicht zur Beerdigung erschienen war.
    Sie strich ihm über die Haare. »Mach dir keine Gedanken, ich kann das alles gut nachvollziehen.« Sie drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. »Sollen wir uns setzen?«
    Er sah sie irritiert an – als habe sie etwas Falsches gesagt, als könne er ihr Verhalten nicht recht interpretieren –, lächelte dann aber. »Klar doch.«
    Sie unterhielten sich eine Weile, doch es war eher ein höflicher Gedankenaustausch – wie die gepflegte Konversation aus einer längst vergangenen Ära. Sie spürte, wie schwer es ihm fiel, sich auf die Situation einzustellen, fand aber selbst keinen Weg zu einem entspannten, normalen Gespräch.
    »Ich hab gerade deinen Onkel und einen der Polizisten gefragt, ob es vielleicht möglich wäre, dass wir für ein paar Tage verschwinden«, sagte Chris schließlich, als suchte er nach einem Ausweg aus dieser Sackgasse. Sie war sich zwar nicht bewusst, irgendeine Reaktion gezeigt zu haben, doch irgendetwas musste ihm wohl aufgefallen sein, weil er umgehend ergänzte: »Es muss ja nicht sofort sein. Vielleicht zum Ende des Sommers. Wir sollten irgendwohin fahren, wo wir uns in Ruhe erholen können.«
    »Meinst du so einen Ort wie Montecatini?«
    »Genau das ist der Grund, warum wir zusammen wegfahren sollten – um die Erinnerungen daran ein für allemal aus unserem Gedächtnis zu löschen.«
    Sie starrte in den Regen hinaus. Falls die Polizei die Mörder finden sollte, konnte sie sich einen Trip mit Chris durchaus vorstellen, aber: Sie würden die Mörder nicht finden. Und bis dahin würde sie keine Sicherheit haben und keine Entspannung finden – egal wohin sie fuhren.
    »Die Polizei tappt völlig im Dunkeln.« Als er sie fragend anschaute, lächelte sie. »Wenn die Polizei die Täter aufspürt, bin ich dabei. Aber mir gefällt die Vorstellung nicht, dass …«
    »Ich weiß. Aber wenn die Polizei sie findet, würdest du’s dir überlegen?«
    Sie nickte. Er küsste sie, nahm sie wieder in den Arm und flüsterte ihr noch mal ins Ohr, wie sehr er sie vermisst hatte. Seine Hände verrieten, dass er es diesmal etwas anders meinte: Langsam glitt er mit den

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