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Das Fluestern des Todes

Das Fluestern des Todes

Titel: Das Fluestern des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Wignall
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erwehren, als hätten sie ihr im Drehbuch ihrer Untersuchung bereits eine neue Rolle zugedacht. Als müsse er sich noch einmal an seinen Gesetzesauftrag erinnern, fügte Thornbull hinzu: »Selbst wenn Ihr Vater ein Gangster gewesen wäre – und noch mal: Wir haben nie den Eindruck erweckt, dass dem so war –, sind wir fest entschlossen, die Suche nach den Mördern unbeirrt fortsetzen.«
    »Nicht so entschlossen wie ich.«
    Er nickte – nicht unbedingt zustimmend, sondern eher als Zeichen, dass ihr Gespräch beendet war. »Es tut mir leid, was mit Ihrer Familie passiert ist.« Er stand auf. »Ihr Onkel hat meine Nummer. Wenn Ihnen noch irgendetwas einfällt, rufen Sie mich bitte an.«
    Nachdem sie gegangen waren, blieb Ella auf dem Sofa sitzen und versuchte, das Geschehene zu verarbeiten. Irgendwann im Lauf der letzten Tage – zwischen ihrem Empfang am Flughafen und diesem Gespräch – schien sich die Polizei vom Verbündeten zum Widersacher verwandelt zu haben. Je energischer sie den Ruf ihrer Familie verteidigte, umso mehr fühlte sie sich als Kriminelle, die der Staatsgewalt mit instinktivem Misstrauen begegnete.
    Es klopfte an der Tür. Vicky Welsh kam noch einmal herein und lächelte.
    »Ich muss mich für Graham entschuldigen. Um ehrlich zu sein: Irgendjemand bei der Polizei hat wahrscheinlich der Presse einen derartigen Hinweis gegeben. Man macht so etwas, um der Bevölkerung die Besorgnis zu nehmen, dass sich die Morde wiederholen könnten. Aber ich verstehe, dass es Ihnen gegenüber nicht fair ist.« Sie gab Ella einen Zettel. »Hier ist meine Durchwahl und meine Handynummer. Wenn Sie mit mir sprechen möchten oder sich über den Stand der Ermittlungen informieren wollen, rufen Sie mich einfach an.«
    »Danke.«
    »Nicht der Rede wert. Und halten Sie die Ohren steif.« Sie drehte sich um und ging, blieb vor der Tür aber noch einmal stehen. »Ella …« Sie zögerte, weil sie wohl unschlüssig war, wie sie ihre Gedanken in Worte fassen sollte. »Seien Sie vorsichtig«, sagte sie lediglich.
    »Das werde ich.«
    Offensichtlich hatte die Polizei noch keinerlei Theorie. Sie fischten im Trüben, verdächtigten Simon und verbissen sich in die geschäftlichen Aspekte. In ein paar Wochen würden sie vermutlich sogar annehmen, dass Ella selbst hinter den Morden steckte.
    Vielleicht war es ja voreilig, keine großen Hoffnungen in die Bemühungen der Behörden zu setzen, aber sie konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass niemand für diese Taten zur Rechenschaft gezogen würde. Da draußen lief jemand herum, der in ihr Heim eingedrungen war und ihre Familie erschossen hatte; man hatte ihr in Italien aufgelauert – und irgendjemand hatte diese Morde angeordnet und die Killer bezahlt.
    Es brachte sie zur Weißglut, wenn sie daran dachte, dass diese Leute immer noch frei und unbehelligt herumliefen. In wenigen Tagen musste sie dem Begräbnis beiwohnen, bei dem auch ihre bisherige Welt zu Grabe getragen würde – aber irgendwo in ihrem Hinterkopf, momentan noch betäubt von akutem Schmerz, würde sie diese Leute niemals vergessen – auch wenn sie jetzt vielleicht noch unbeschwert lachten und ihr Leben genossen.
    Ihr Vater war kein Gangster, aber im Moment hätte sie ihm selbst das verziehen. In ihrem Herzen war ein Hass, zu dem er nie fähig gewesen wäre. Das machte ihr Angst. Sollte die Polizei es nicht schaffen, die Täter der gerechten Strafe zuzuführen, sah sie für ihre aufgestaute Gewalt kein Ventil. Und niemanden, der ihr den Druck hätte abnehmen können.

ACHT
    Sie hatte immer ein Buch in Reichweite – nur für den Fall, dass jemand unerwartet hereinkam. Sie wusste genau, wie sie reagieren würden, wenn sie sahen, wie sie dort am Fenster saß und in den Regen hinausstarrte. Aber sie wusste nicht, was sie sonst hätte tun sollen. Alle schienen davon überzeugt zu sein, dass das ständige Grübeln nicht gut für sie war. Ihre Familie lag inzwischen unter der Erde – der richtige Zeitpunkt also, nach vorne zu blicken und die unschönen Erinnerungen aus ihrem Leben zu verbannen. Doch das war nicht so einfach, wie es sich Außenstehende vielleicht vorstellten.
    Inzwischen fühlte sie sich sogar noch deprimierter, wenn das überhaupt möglich war. Zumindest hatte sie im Rahmen der Beerdigung Entscheidungen zu treffen gehabt, hatte sich mit Detailfragen beschäftigen müssen – alles Dinge, die sie davon abhielten, dem nackten Horror ins Auge zu schauen. Inzwischen hatte sie nicht mal mehr die Ablenkung

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