Das Fluestern des Todes
gesagt: Die Karibik ist ein idealer Ort, um jemanden verschwinden zu lassen. Deshalb werden wir verdammt vorsichtig sein müssen, damit er sie nicht zuerst verschwinden lässt. Wir müssen unsere Pläne geheim halten, dürfen das aber nicht so offensichtlich tun, dass er Verdacht schöpft.«
»Er weiß, dass ich in Budapest war.«
»Oh.« Für einen Moment war er sprachlos. »Weiß er denn auch, warum?«
»Er weiß, wann ich dort war, und inzwischen sollte er auch erfahren haben, was zu diesem Zeitpunkt passierte.«
Den Besuch von Vicky Welsh erwähnte sie lieber nicht, denn sie hatte die Befürchtung, dass Dan aussteigen könnte, wenn er von den polizeilichen Ermittlungen erfuhr.
»Selbst wenn er keinen konkreten Verdacht hat, könnte er so aufgeschreckt sein, dass er sich zum Handeln gezwungen fühlt. Wir müssen also extrem auf der Hut sein. Parallel werde ich Jim darum bitten, eine gezielte Fehlinformation in die Welt zu setzen. Wenn Simon auch nur ansatzweise vermutet, dass Sie es waren, die Bruno umgebracht hat, wird er den Köder nie und nimmer schlucken.«
Sie hatte anfangs Zweifel gehabt, was sie von Dan halten sollte, war inzwischen aber davon überzeugt, dass er nicht nur ein intelligenter Bursche war, sondern auch ihr Vertrauen verdiente – zumindest in absehbarer Zukunft. Er war vorsichtig – was sicher Grundvoraussetzung für seinen Job war –, aber gleichzeitig hatte Ella nicht den Hauch eines Zweifels, dass er seine Aufgabe konsequent ausführen und ihr Simon ans Messer liefern würde.
»Es gibt noch ein paar Sachen, die ich vorher erledigen möchte, aber ich will schon in wenigen Tagen abreisen.«
»Passt mir gut in den Kram. Ich brauche selbst ein paar Tage, um mich mit den dortigen Gegebenheiten vertraut zu machen.« Die grobe Vorgehensweise war damit geklärt, und sie sah keinen Anlass, am Gelingen ihres Planes zu zweifeln. Mit den Details würde man sich noch beschäftigen müssen, aber das Grundgerüst stand. Es war, als sei es in Stein gemeißelt, als sei es immer schon da gewesen, als sei sie geboren worden, um diesen Plan zu erfüllen.
Zwei Tage später mietete sie einen Wagen und fuhr in ihre Heimatstadt. An ihrem alten Haus wollte sie lieber nicht vorbeifahren. Sie hätte es nicht ertragen, eine andere Familie dort wohnen zu sehen – in den gleichen Räumlichkeiten, in denen sie früher selbst gelebt hatte.
Stattdessen fuhr sie zur Kirche der Ortschaft. Es war nur ein kleiner Friedhof, aber trotzdem brauchte sie eine Weile, um die Gräber zu finden. Zwei neue Gräber waren inzwischen dazugekommen, und sie stand eine Weile an den blumenüberdeckten Grabstätten, bevor sie zu ihrem Familiengrab hinüberging.
Es waren nur zwei einfache Holzkreuze, die dort standen – eins für ihre Eltern, eins für Ben. Die endgültigen Grabsteine würden wohl innerhalb der nächsten Wochen aufgestellt werden, aber so gefiel es ihr fast besser. Auf den provisorischen Plaketten befanden sich nur ihre Namen – für großartige Gefühlsbekundungen war einfach kein Platz.
Das ausgehobene Erdreich war unter dem Laub kaum noch auszumachen, die Grenzen zum benachbarten Rasen verwischten. Auf dem herbstlichen Friedhof mit seinen Bäumen und Hecken, untermalt vom Chor der krächzenden Krähen, wirkten die beiden Gräber bereits wie ein integraler Bestandteil. Sie hatte sich nie vorstellen können, dass es eine Rolle spielte, wo man begraben lag, aber nun war sie froh, dass sie an diesem Ort ihre letzte Ruhe gefunden hatten.
Jemand hatte ein paar rote Nelken an Bens Kreuz gestellt. Sie waren bereits am Verwelken, doch sie hatte den Eindruck, als würden sie erst seit einigen Tagen hier stehen. Es bedrückte sie, dass es noch jemand anderen geben musste, der allein und unerkannt um Ben trauerte – und wieder begriff sie, wie wenig sie ihn wirklich gekannt hatte.
Aber für Reue war es zu spät. Diese sanften Erdhügel würden bald in sich zusammensinken, die Vergangenheit würde noch mehr in den Hintergrund treten, die Erinnerungen im Nebel des Vergessens verschwinden.
Der Tag würde kommen, an dem sie sich nicht mehr erinnern würde, wie ansteckend das Lachen ihrer Mutter gewesen war. Oder wie Ben einen Witz erzählte, dabei aber so verunsichert war, dass er sich ständig versprach. Oder wie misstrauisch er die Leute beäugte, weil er dachte, dass sie auf seine Kosten einen Scherz machten. Heute schienen all diese Dinge noch in der Gegenwart zu Hause zu sein, aber sie wusste, dass sie ihr eines
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