Das Fluestern des Todes
mit Ben verbracht, sich mehr mit ihm beschäftigt – auch wenn es heute natürlich sinnlos war, derartigen Wünschen nachzuhängen.
»Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe, Jim. Ich werde mich erkenntlich zeigen.«
»Das ist nicht der Grund, warum ich’s getan habe.«
»Ich weiß. Dan, könnten Sie bitte Jim wieder in die Lobby bringen und dann noch einmal zurückkommen?« Sie verabschiedete sich von Jim und schloss hinter ihnen die Tür. Ihre Gedanken glichen einem endlosen, unüberschaubaren Trümmerfeld. Am liebsten hätte sie laut losgeschrien oder das Hotelzimmer verwüstet. Ihr Herz war gebrochen – und doch sah sie sich zu keiner Regung fähig. Es war, als habe sich ihr Inneres schrittweise und unmerklich verhärtet, um nun, im Augenblick der Wahrheit, zu keiner Emotion mehr fähig zu sein.
Dan klopfte und trat ein. »Also, soll ich ihn umbringen?«, fragte er, kaum dass er sich gesetzt hatte.
Sie nickte. »Aber wir werden sehr vorsichtig vorgehen müssen. Ich muss mir noch alles durch den Kopf gehen lassen.«
»Alles okay?« Sie zuckte mit den Schultern. »Immerhin haben Sie gerade erfahren, dass Ihr Onkel Ihre Familie umgebracht hat – und Sie auch ermorden wollte.«
»Ja, und ich fühle mich seltsam. Ich fühle gar nichts.« Sie lachte. »Es ist schon verrückt. Mein ganzes Leben lang haben sie die Wahrheit von mir ferngehalten, und trotzdem hat es nur einen Sommer gedauert, und schon sitze ich hier und überlege, wie ich Simon am besten umbringen könnte – ohne Zweifel, ohne Zögern, ohne Gewissensbisse. Was ist bloß aus mir geworden? Irgendetwas muss ich doch fühlen.«
Sie verspürte den dringenden Wunsch, sich im Spiegel anzuschauen und zu überprüfen, ob sie ihr Gegenüber überhaupt noch erkannte. Die Ella Hatto, die sie einmal gewesen war, hätte mit Sicherheit etwas gefühlt, doch die Erinnerung an diese Person war verschwommen – so flüchtig wie ein Traum oder die undeutlichen Erinnerungen aus frühester Kindheit.
»Wollen Sie denn, dass ich ihn töte?«
»Natürlich. Was bleibt mir anderes übrig? Wenn ich nicht alles daran setze, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird, würde ich ihren Tod doch nur billigend in Kauf nehmen.«
»Absolut nachvollziehbar. Ich würde es in Ihrer Situation nicht anders sehen.«
»Haben Sie Geschwister?«
»Eine jüngere Schwester. Sie ist Meeresbiologin.« Für einen Moment war Stolz in seinem Gesicht zu erkennen, nur um umgehend von einem Ausdruck des Bedauerns abgelöst zu werden. »Hatten Sie zu Ihrem Bruder ein enges Verhältnis?«
»Schwer zu sagen. Man hält diese Art von Beziehung eigentlich immer für selbstverständlich, oder nicht?«
»Ja, ich weiß, was Sie meinen.«
»Ich vermute, dass mich gerade diese Tatsache so fertigmacht. Er starb zu einem Zeitpunkt in unserem Leben, an dem wir noch nicht allzu viel voneinander wussten.«
»Es ist wirklich ein Jammer.« Für einen Augenblick schien er ehrlich bedrückt zu sein. Er vermittelte plötzlich eine menschliche Wärme, die Ella als attraktiv empfand. Wenn sie ihn so anschaute, war sie versucht, noch weitere Fragen über seine Familie zu stellen, biss sich dann aber doch auf die Lippen. Diese Lektion hatte sie von Lucas gelernt: Es gab in diesem Geschäft keine Freundschaften.
»Ich habe zugesagt, Simon und seine Familie über Weihnachten in der Karibik zu besuchen.«
»Klingt gut. Dort werden ständig Leute umgebracht. Geringe Aufklärungsrate.«
»Er besitzt ein Strandhaus auf St. Peter. Eine Jacht hat er auch. Wir haben einmal ein Haus an einer anderen Ecke der Insel gemietet, und er ist mit seinem Boot auf einen Besuch vorbeigekommen.« Er hörte lächelnd zu, und sie hatte fast den Eindruck, als hielte er ihren Vorschlag für eine rührselige Urlaubserinnerung. »Ich kann mit ihm telefonieren, aber ich werde es nicht schaffen, ihm in die Augen zu sehen. Ich werde ihn also anrufen ihm sagen, dass ich verreise, dass ich über Weihnachten aber nach St. Peter komme. Ich werde vor ihnen dort sein und versuchen, das alte Haus zu mieten – aus sentimentalen Gründen, verstehen Sie? Dann werde ich ihn einladen, und er wird mit seinem Boot vorbeikommen. Und das sollte uns doch reichlich Gelegenheit bieten, oder nicht?«
Dan brauchte eine Weile, um ihrem Gedankengang zu folgen, tat dann aber so, als habe er von Anfang an konzentriert zugehört. »O ja, perfekt. Vor allem, wenn er nicht weiß, dass ich vor Ort sein werde. Da wäre nur noch eine Kleinigkeit.«
»Und die wäre?«
»Wie
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