Das Flüstern des Windes (German Edition)
betraten Melwar durch das östliche Tor der Stadtmauer. Zwei verschlafen wirkende Wächter winkten sie ohne Kontrolle durch. Die Hufe des Pferdes klapperten auf dem groben Kopfsteinpflaster. Bei dem Geräusch nahm sich Djoran vor, das Pferd neu beschlagen zu lassen.
Gram und die schlanke Marga schritten vor dem Karren her, während Karem neben seinen Eltern auf dem Kutschbock Platz genommen hatte und mit großen Augen alles anstarrte.
Trotz der frühen Morgenstunde herrschte schon ein reges Treiben in den Gassen. Überall begannen Händler, ihre Marktstände aufzubauen, und bald stieg ein überirdisches Gemurmel, unterbrochen von den Anpreisungen der Verkäufer, zum strahlend blauen Himmel auf.
Waffenschmiede führten die Güte ihrer Waffen vor, indem sie mit Äxten und Schwertern Seidenbänder durchschnitten. Pferdehändler boten mit lautstarker Stimme die Vorzüge ihrer Tiere an. Handwerker jeder Gattung und Händler aus allen Teilen des Reiches buhlten miteinander um die Aufmerksamkeit der Passanten.
Karem hob die Nase in die Luft und schnupperte. Der Geruch von gebratenem Fleisch in Honig, kandierten Früchten und fremdartigen Gewürzen ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Djoran bemerkte seinen verzückten Gesichtsausdruck und lachte lauthals. Mit einem Schnalzen seiner Zunge trieb er das Pferd an. Eine Gruppe gut gekleideter Bürger aus der Welt Roma Secundus fluchten, als sie den Karren auf sich zukommen sahen. Mit weiten Sätzen brachten sie sich in Sicherheit. Djoran hob entschuldigend die Hand, aber noch eine ganze Zeit lang verfolgte sie das Gezeter der Römer.
Vor dem Eingang zu einer kleinen Seitengasse fanden sie einen noch freien Stellplatz. Gram hielt das Pferd an den Zügen und dirigierte es langsam rückwärts in die Lücke.
Während sein Vater die Plane des Wagens zurückschlug und Gram, Marga und Medak begannen, die Waren vor dem Karren auszubreiten, bekam Karem den Auftrag, das Pferd in einen nahe gelegenen Stall zu führen und für seine Unterbringung zu sorgen.
Stolz darauf, den kostbarsten Besitz der Familie anvertraut bekommen zu haben, bahnte sich Karem einen Weg durch die Menschenmassen. Noch niemals zuvor hatte er so ein Treiben gesehen. Die ganze Stadt schien zu pulsieren.
Fremde Sprachen drangen an sein Ohr. Hände zupften an seinem Gewand, versuchten, Aufmerksamkeit zu erwecken. Jemand fragte ihn, ob das Pferd zu kaufen sei. Karem schüttelte nur stumm den Kopf. Er war wie betäubt von der Erfahrung, so viele Menschen zu erleben.
Schließlich erreichte er ein flaches Holzgebäude. Auf einem großen, über dem breiten Tor angebrachten Schild erfuhr er, dass hier Pferde untergebracht und verpflegt werden konnten.
Karem klopfte höflich an. Ein Junge in seinem Alter schob das Tor auf, das auf Metallschienen quietschend zur Seite glitt. Blitzende Augen sahen ihn misstrauisch an. Als der andere den Mund öffnete, entdeckte Karem mehrere Zahnlücken.
»Was willst du?«
»Das Pferd bei euch unterstellen.«
»Ist das dein Pferd?«, fragte der Junge. Seine schmutzige Hand fuhr sich misstrauisch durch das ungekämmte, blonde Haar.
»Es gehört meinem Vater.« Karem war entsetzt von der Unhöflichkeit, mit der er behandelt wurde.
»Das macht drei Kupferstücke für die Nacht. Futter und Stroh müssen extra bezahlt werden.«
»So viel?«, ächzte Karem.
Der Junge grinste unverschämt. »Du kannst es gern woanders probieren, aber durch den Markttag dürfte es dir schwerfallen, noch einen freien Platz zu finden.«
In Karems Kopf wirbelten die Gedanken. Drei Kupferstücke, das war Wucher. Sein Vater würde zornig werden, wenn er so eine halsschneiderische Abmachung traf. Außerdem wäre es mit Sicherheit das letzte Mal gewesen, dass ihm das Pferd anvertraut worden war.
»Was ist nun?«, verlangte der Junge zu wissen.
»Danke, aber ich werde es woanders versuchen. So viel Geld habe ich nicht«, log Karem.
Der Blondschopf spuckte verächtlich auf den Boden. »Dann scher dich weg!«
Karems Gesicht glühte vor Wut. Seine kleine Faust mit den Zügeln zitterte, aber bevor er etwas erwidern konnte, wurde das Tor zugeschoben und er stand allein auf der Straße.
Als der Ärger nachließ, machte er sich weiter auf die Suche.
Zehn Minuten später war das Pferd in einem sauberen Stall untergebracht. Ein alter Mann, der ein Bein beim Gehen nachzog, aber sehr freundlich wirkte und die ganz Zeit lächelte, akzeptierte ohne zu verhandeln ein Kupferstück für Unterbringung und
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