Das Flüstern des Windes (German Edition)
Holzspänen.
In der Schenke herrschte Stille. Niemand sprach, niemand bewegte sich. Djoran saß noch immer da, wo er gesessen hatte, als der Kampf begann. Seine breiten Hände umklammerten den Krug, bis die Knöchel weiß vortraten.
Ronder beugte sich herab und schloss dem Toten die Augen.
»Bringt diesen Mann zum Soldatenfriedhof und sorgt dafür, dass er ein anständiges Grab erhält, das seiner Taten würdig ist. Sagt dem Steinmetz, er soll eine Tafel anfertigen. Sein Name war Lor.«
Der Sohn des Fürsten wandte sich abrupt um und verließ die Schenke. In einer Seitengasse lehnte er sich an eine kühle Hauswand und übergab sich, bis sein Magen leer war.
Als das Zittern seiner Beine nachließ, schritt er zurück zum Schloss. Die Pflicht verlangte, dass er seinem Vater von dem Vorfall Meldung machte. Er fühlte sich erbärmlich.
Djoran kehrte erst spät in der Nacht in die Herberge zurück, in der seine Familie Unterkunft gefunden hatte. Sein Gang war schwankend, aber obwohl er Unmengen von Alkohol in sich hineingeschüttet hatte, wollte sich das Vergessen, das meistens mit der Trunkenheit einhergeht, sich nicht einstellen.
Vor seinem inneren Auge tanzte immer noch das Bild des schwarzhaarigen Kriegers, der Anblick, wie er gedemütigt im Dreck gelegen hatte. Dieser Mann war einer der Helden der Saar-Ebene gewesen, über deren legendäre Tapferkeit die Menschen mit Hochachtung sprachen. Nun hatte er sein Ende durch die Hand eines Mannes gefunden, der eigentlich sein Waffengefährte sein sollte. Unwürdig, wie einen räudigen Hund, hatten sie ihn niedergemetzelt. Djoran seufzte tief auf.
Was war das für ein Land, das seine Helden so im Stich ließ? Was für Menschen herrschten über das Reich, wenn jemand wie Lor so viel Bitterkeit erfahren hatte? Konnten sie überhaupt noch Achtung und Respekt verlangen?
Sie konnten, und wie sie konnten! Mit Waffengewalt waren sie bereit, ihren Untertanen Gehorsam einzuprügeln, und die Menschen erduldeten dieses Schicksal schweigend und hofften darauf, dass die Zeiten sich ändern würden. Niemand begehrte auf, solange er noch etwas zu verlieren hatte. Nur jemand wie Lor, dem man schon alles genommen hatte, was das Leben erträglich machte, Familie, Heim und den eigenen Stolz, widersetzte sich und zahlte mit dem Einzigen, was er noch besaß, seinem Leben.
Die Lampen im Haus waren schon erloschen, als er das Haus betrat, nur das bleiche Licht des Mondes fiel durch ein kleines Fenster und schuf ein gitterförmiges Muster aus Helligkeit und Schatten auf dem Holzboden.
Rumpelnd stapfte Djoran die knarrenden Stufen hoch, ohne darauf zu achten, dass er sämtliche Gäste der Herberge aufweckte. Oben führte ihn sein Weg in den linken Gang, an dessen Ende die Zimmer seiner Familie lagen.
Bevor er noch die Klinke in die Hand nehmen konnte, wurde die Tür von innen geöffnet. Medak, nur mit einem weißen Leinennachthemd bekleidet, stand im Türrahmen und zog ihn sanft herein.
»Ich ... ich ... ich wollte dich nicht wecken«, lallte ihr Ehemann.
»Lass gut sein, Djoran. Ich konnte sowieso nicht schlafen.«
Der Schein der Petroleumlampe, die an einer Wand hing, offenbarte ihm, dass sie sehr wohl geschlafen hatte. Ihr Haar war zerzaust und ihre Augen blinzelten träge ins Licht.
»Ist etwas passiert?«, wollte sie wissen. Djoran war ein guter Kerl, mitten in der Nacht betrunken nach Hause zu kommen, war nicht seine Art. Irgendetwas musste vorgefallen sein, aber vielleicht hatten ihn auch nur die alten Erinnerungen an die unzähligen Schlachten, an denen er teilgenommen hatte, eingeholt und er hatte versucht, den aufkommenden Kummer über den Tod so vieler, die er gekannt hatte, in Alkohol zu ertränken.
»Es ist nichts«, brummte der Messerschleifer und begann, sich unbeholfen auszuziehen.
Medak wusste, dass er log. Eine Tatsache, die sie mit Erstaunen registrierte, aber sie wollte nicht weiter in ihn dringen. Früher oder später würde er von allein auf die Geschehnisse dieses Abends zu sprechen kommen.
Djoran ließ sich ins Bett zurücksinken. Sein schwerer Körper bog die Strohsäcke durch.
Medak löschte die Lampe und kam zu ihm.
»Ist mit den Kindern alles in Ordnung?«, fragte er.
»Sie liegen nebenan und schlafen.« Ihre Hand fuhr durch sein, trotz des Alters, dichtes Haar. »Du willst es mir nicht sagen, nicht wahr?«
Eine Weile herrschte Schweigen. Sie dachte schon, er wäre eingeschlafen, aber dann sagte er leise, kaum hörbar: »Morgen fahren wir weiter.
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