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Das Flüstern des Windes (German Edition)

Das Flüstern des Windes (German Edition)

Titel: Das Flüstern des Windes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
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aber auch gejammert wie ein kleines Kind. Nun aber schwieg er.
    »Lebst du noch?«, krächzte Karem hinüber.
    Für einen kurzen Moment rollten Murans Augen, dann wurde sein Blick wieder starr. Er war also noch nicht tot.
    Karem begann zu begreifen, dass der körperliche Aspekt dieser Folter nicht das Schlimmste war. Er musste es irgendwie schaffen, seinen Geist über die drei Tage und drei Nächte zu retten oder er würde wahnsinnig werden und entweder als Toter oder aber als Greis dieses Loch verlassen. Er ließ seine Gedanken zurück in die Vergangenheit wandern, durchlebte Momente seines Lebens auf Thuur. Sein Geist floh in diese andere Welt, und Karem war wieder mit seinem Vater, seiner Mutter, Marga und Gram zusammen.
     
    Varania stand am Fenster im ersten Stock der Villa und starrte auf die beiden Köpfe herab, die unten im Hof im Sand steckten. Es war ein bizarrer Anblick. Fast konnte man meinen, die Schädel besaßen keinen Körper und schwebten über dem Sand.
    Sie wusste nicht, ob sie Mitleid mit Karem empfinden sollte, sie wusste nur, dass sie ihn begehrte, mehr begehrte als irgendetwas anderes in ihrem Leben. Muran war ihr völlig egal, aber sie begann darüber nachzudenken, wie sie Karem helfen konnte.
    Er durfte nicht sterben, bevor sie nicht von ihm bekommen hatte, wonach es ihr verlangte.
    Spät in der folgenden Nacht schlich Varania hinunter. Sie hatte feuchte Lappen, einen Schlauch mit Trinkwasser und eine heilende Salbe dabei.
    In der großen Villa herrschte Stille, als sie durch den Vorraum ging. Ihre Sandalen hatte sie ausgezogen, um auf dem marmornen Fußboden keine Geräusche zu verursachen.
    Leise öffnete sie die mit Schnitzereien verzierte Holztür einen Spalt und huschte hinaus in die Dunkelheit. Diesmal beleuchteten keine Fackeln die Gesichter der Gequälten. Ihre Mutter hatte darauf bestanden, dass die Fackeln gelöscht wurden, damit die Nachtruhe ungestört verbracht werden konnte, und Farcellus hatte ohne Widerstand nachgegeben. Ihn plagten andere Sorgen.
    Das fahle Licht des Halbmondes erleuchtete den Hof. Die beiden Köpfe der Gefangenen wirkten wie schwarze Perlen auf einem erdfarbenen Tuch.
    Varania lauschte kurz, bevor sie den Schatten des Vordaches verließ. Karem schien zu schlafen. Seine Augen waren geschlossen und er atmete flach. Trotz der Düsternis erkannte sie die Entstellungen in seinem Gesicht.
    Sie musste mehrfach seinen Namen flüstern, bis er endlich die Augen öffnete und sie verständnislos anstarrte.
    »Marga? Marga, was tust du hier?« Seine Stimme klang wie Eisen, das über einen Stein gerieben wird.
    »Still, Karem! Ich bin es! Varania!«
    Aber er weilte in einer anderen Welt und erkannte sie nicht. Während er leise vor sich hinmurmelte und immer wieder den Namen ‘Marga’ benutzte, wusch sie sein Gesicht mit dem feuchten Lappen ab.
    Sie hielt ihm den Wasserschlauch an die Lippen, aber Karem sprach weiter vor sich hin, bis er bemerkte, dass ihm jemand zu trinken gab. Wie ein Besessener biss er in das Ziegenleder und begann, zu saugen wie ein kleines Kind. Varania liefen die Tränen über die Wangen, ohne dass sie es bemerkte.
    Als er genug getrunken hatte, klärte sich sein Blick.
    »Varania!«, seufzte er leise. Seine Augen flehten sie an, ihn aus dem Loch zu holen, aber er sagte nichts weiter. Sie nahm den Salbentiegel und begann, sein Gesicht einzuschmieren. Überall war die Haut geplatzt und schälte sich nun in großen Streifen vom Fleisch. Er stöhnte, und sie flüsterte ihm erneut zu, er möge leise sein.
    »Danke!«, sagte er mit ruhiger Stimme.
    Sie wollte sich gerade abwenden und gehen, als Karems Blick sie festhielt.
    »Bitte geh zu Muran, und gib ihm Wasser!«, flüsterte er eindringlich.
    Sie schüttelte wild den Kopf. Für eine Nacht hatte sie genug riskiert.
    »Bitte!«, wiederholte er, aber da verschwand sie schon im Schatten der Veranda.
     
    Karem konnte später nicht mehr sagen, wie er die zwei folgenden Tage und die letzte Nacht durchgestanden hatte. Die meiste Zeit hatte sich sein Geist in eine Traumwelt geflüchtet, aus der er nur zurückkehrte, als Varania noch einmal erschien und ihm zu trinken gab.
    Diesmal ließ sie sich dazu herab und gab auch Muran Wasser, der inzwischen halbverdurstet war und ohne Unterbrechung verständnisloses Zeug vor sich hinplapperte. Selbst als ihm der Wasserschlauch an die Lippen gesetzt wurde, hörte er nicht auf zu reden, und so tränkte ein Großteil des Wassers den Sand.
    Murans Gesicht hatte kaum noch

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