Das Flüstern des Windes (German Edition)
Möglichkeit, den Frauen zu helfen. Vier Wächter hatten sich vor ihnen aufgepflanzt und beobachteten sie aufmerksam.
Luvon lag noch immer gefesselt im Hof. Er hatte das Gesicht in den Staub gedreht und weinte leise. Karem konnte ihn von seiner Position aus gut sehen. Der junge Römer tat ihm leid, er war nie grausam zu seinen Sklaven gewesen und hatte sie stets mit ein wenig Achtung behandelt.
Farcellus Leichnam war weggeschafft worden. Für ihn empfand Karem kein Mitleid. Die Menschen, die ihm gedient hatten, waren für ihn nie mehr als Vieh gewesen.
Irgendwann einmal, Karem konnte inzwischen kaum noch stehen, trat Sacrus vor die versammelten Sklaven. Sein harter Blick musterte die Reihen.
»Morgen trifft der neue Gutsverwalter ein. Er wird dieses Anwesen im Namen des Kaisers leiten. Für die meisten von euch bedeutet das keinerlei Veränderung. Ihr wart Sklaven unter Farcellus und ihr werdet Sklaven unter Dormitrion sein.« Ein kollektiver Seufzer der Erleichterung durchlief die Reihen. Viele hatten schon befürchtet, in die Schwefelbergwerke zu müssen. »Die jüngeren Männer unter euch werden mich nach Rom begleiten. Ihr habt die große Ehre, in die Gladiatorenschule des Pinius eintreten zu dürfen und werdet eines Tages vor den Augen des Kaisers in der Arena kämpfen. Hadert nicht mit eurem Schicksal. Hier seid ihr nichts als Sklaven, in der Arena erwartet euch Ruhm und vielleicht sogar die Freiheit.«
Mit langen Schritten ging er die Reihen der Angetretenen entlang.
»Du, tritt vor!« Ein junger Adesianer mit Namen Rao war gemeint. »Stell dich zu den Wachen!«
»Du, du und du!« Die drei Brüder Masak, Kulan und Threm gesellten sich zu Rao.
»Du!« Hersan, der Schafhirte, ging mit hängenden Schultern zu den anderen.
Karem war der Letzte in der Reihe. Schließlich blieb Sacrus vor ihm stehen und musterte ihn aufmerksam. Karem erwiderte den Blick ruhig. Seine Beine zitterten vor Erschöpfung, Schweiß lief ihm über das Gesicht.
»Du musst Karem sein!«
»Ja, Herr!«
»Du bist der Orkwächter. Man hat mir gesagt, du wärst der Einzige, der mit diesem Vieh umgehen kann.«
»Ja, Herr!«
»Stell dich zu den anderen. Du kommst nach Rom, ebenso wie der Ork.«
»Herr?«
»Ja?«
»Was ist mit den Frauen?«, wagte Karem zu fragen.
Sacrus’ Blick wurde hart. »Ihr Schicksal hat dich nicht zu kümmern, Sklave!«
»Ja, Herr«, sagte Karem resigniert.
6.
Karem bekam von der Stadt Rom selbst kaum etwas zu sehen. Ein leichter, aber unangenehmer Nieselregen war aufgekommen und ließ alle Farben verblassen, so dass die ganze Welt nur noch aus Grautönen zu bestehen schien.
Die Soldaten mieden die Hauptstraßen und betraten die Stadt durch eines der kleineren Westtore, wo sie ein verschlafen wirkender Legionär durchwinkte.
Alle Sklaven waren hintereinander angekettet. Karem ging als Letzter in der Reihe vor dem Ork. Er hatte schwören müssen, dass das riesige Wesen niemanden angreifen würde, und deshalb durfte Crom auf seinen eigenen Beinen laufen. Für ihn war das alles ein Wunder.
Er, der jahrelang nur die Laufgrube gekannt hatte, konnte sich nicht sattsehen, und auf der ganzen Reise hatte er geschnattert wie ein kleines Kind, hatte Karem ständig auf irgendwelche Besonderheiten der Landschaft aufmerksam gemacht, auf Häuser, Wiesen, Bäume, eigentlich auf alles gedeutet und zu allem Bemerkungen gemacht. Karem gönnte dem Ork dieses Erlebnis, aber er selbst weilte die meiste Zeit in Gedanken und sinnierte über das unbekannte Schicksal nach, das ihn in Rom erwarten würde.
Durch kleine Gassen, zwischen verfallenen, mehrstöckigen Häuserblöcken wurde ihre Gruppe getrieben. Nun, wo die Legionäre endlich in Rom waren, hatten sie es eilig, die Sache hinter sich zu bringen.
Farcellus Sohn Luvon war der einzige Gefangene, der außer den Legionären reiten durfte. Seine Hände waren an den Sattelknauf gefesselt, und zusätzlich hatte man seine Füße unter dem Leib des Pferdes zusammengebunden. Stumm vor sich hinstarrend, hatte er die mehrtägige Reise hinter sich gebracht. Karem hatte eine Unterhaltung seiner Wächter belauscht und erfahren, dass Luvon sich weigerte zu essen.
Farcellus Sohn wurde stets abseits von den übrigen Sklaven gehalten und Gespräche mit ihm waren verboten. Sein Aussehen hatte sich erschreckend schnell verändert. Seine Haare wirkten verfilzt und stumpf, der ehemals goldene Glanz war verschwunden. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, sein Gesicht war
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