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Das Flüstern des Windes (German Edition)

Das Flüstern des Windes (German Edition)

Titel: Das Flüstern des Windes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
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die hereinbrechende Nacht im Dunklen verbringen sollten, aber sehr bald wurde ihm klar, dass die Fackeln kein Freundschaftsdienst waren.
    Als alle anderen Sklaven gegangen waren, kam Farcellus. Muran und Karem mussten die Augen nach oben verdrehen, um ihn sehen zu können.
    »Ihr habt nun Gelegenheit, euch anzustarren und auszuloten, wie groß euer Hass aufeinander ist. Vielleicht hält dieser Hass euch am Leben, vielleicht zerbricht er euch. Wir werden sehen!«
    Mit diesen Worten wandte er sich um und schritt zurück ins Haus.
     
    Murans Gesicht wurde von den brennenden Fackeln gespenstisch erleuchtet. Die flackernden Schatten verzerrten seine Miene, bis er wie ein Dämon aus Thorams Hölle wirkte. Die Augen des Aufsehers starrten Karem an.
    »Ich werde dich töten!«, zischte er leise.
    Karem antwortete nicht. Er wich Murans Blicken aus und konzentrierte sich aufs Überleben. Drei Tage und drei Nächte ohne Essen und Trinken musste er durchstehen. Obwohl er nur ein Sklave war und ein erbärmliches, hartes Leben führte, hing er daran. Die Freundschaft zu dem Ork hatte ihm Selbstvertrauen und neue Hoffnung gegeben, aber nun lag die schlimmste Prüfung seines jungen Lebens vor ihm.
    Er grübelte noch immer über den Sinn der Fackeln nach. Karem dachte sich, dass die Strafe bestimmt härter wäre, wenn sie die Nacht in Dunkelheit verbringen müssten, denn Murans Blicken konnte er ausweichen, indem er einfach die Augen schloss.
    Plötzlich zischte die Flamme der Fackel und etwas fiel neben seinem Gesicht zu Boden. Er verdrehte den Kopf so gut er konnte. Ein großes Insekt war in die Fackel geflogen, und der Gestank des verbrannten Körpers drang ihm unangenehm in die Nase.
    Seltsamerweise schien sich auf einmal der Boden bewegen. Karem dachte erst an eine Sinnestäuschung, aber dann wurde ihm klar, dass unzählige Insekten, angezogen durch den Lichtschein der Fackel, auf ihn zukrochen.
    Ein fingerlanger Tausendfüßler kam als Erstes heran. Karem hatte ihn, solange er konnte, beobachtet und versucht, das Kerbtier durch Anpusten und Spucken zu vertreiben, aber unbeirrt hielt das Tier auf ihn zu und verschwand schließlich aus seinem Blickfeld.
    Entsetzt musste er feststellen, dass ihm das Insekt den Hals hinaufkroch, um den Spiegelungen des Lichtscheins auf seinem Gesicht näher zu kommen.
    Der Tausendfüßler krabbelte über seine Nase, als Karem zu schreien begann.
     
    Die Nacht war fast vorüber, als Karems heisere Schreie verstummten. Adesthe, Farcellus Gattin, wälzte sich im Halbschlaf im Bett herum. Nur schwer hatte sie überhaupt Schlaf gefunden, die Schreie waren bis in ihr Schlafgemach gedrungen und nun, da die Schreie endlich verstummten, weckte sie die Stille.
    Das erste Licht des neuen Tages erschien hinter den Talwänden als flammendes Banner der Morgengötter. Sie erhob sich vorsichtig, bemerkte aber sofort, dass diese Rücksichtsnahme unnötig war, ihr Gatte war ebenfalls wach geworden.
    »Kannst du nicht mehr schlafen, Adesthe?«, fragte er.
    »Nein«, erwiderte sie. »Die Hitze der Nacht und diese Schreie, nein, an Schlaf war nicht zu denken.«
    »Sie werden bald aufhören zu schreien. Wenn die Hitze des Tages ihre Kehlen austrocknet, bleibt keine Kraft mehr.«
    »Musstest du sie so hart bestrafen?«
    »Ja.« Einen Augenblick schwieg er, sprach dann aber weiter. »Wir leben auf einem abgelegenen Gut, fern der nächsten Legionskaserne und sind nur vier Römer, denen über fünfzig Sklaven gegenüberstehen, die uns die Kehle zerreißen würden, wenn sie nur könnten. Angst und Qualen sind unser Schutz vor der Macht des Pöbels.«
    Adesthe stand auf, trat vor einen mannshohen, aus poliertem Silber bestehenden Spiegel und begann, ihr langes, dunkles Haar zu bürsten, das sie im Gegensatz zum Tag jetzt offen trug.
    Das Morgenlicht ließ ihre Körperformen durch den hauchdünnen Stoff ihres Nachtgewandes schimmern, und Farcellus dankte in Gedanken nicht zum ersten Mal den Göttern für diese Frau. Er liebte diese Augenblicke ihres gemeinsamen Lebens, wenn vertraute Bewegungen und Geräusche Harmonie in seinem Dasein schufen.
    »Wir müssen uns wegen des Sklaven Karem unterhalten«, riss ihn Adesthe aus seiner Betrachtung.
    »Wieso?«, fragte er überrascht.
    »Ist dir noch nicht aufgefallen, welche Blicke unsere Tochter ihm zuwirft?«
    »Varania?« Für ihn war sie noch immer das kleine Mädchen, das er früher auf dem Arm herumgetragen hatte. Dass sie nun eine junge, aufblühende Frau mit den Gefühlen

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