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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Lorenza.
    »Wer weiß, vielleicht wäre ich jetzt froh darüber«, sagte Belbo. Tatsächlich hatte er auch bei jener Gelegenheit keine Entscheidung getroffen. Er hatte sich von seinem Onkel reinziehen lassen.
    Ein Stündchen später schweifte er wieder ab. »Nach einer Weile ist dann Adelino Canepa nach oben gekommen. Er meinte, im Keller würden wir sicherer sein. Er und der Onkel hatten seit Jahren kein Wort miteinander gesprochen, ich hab’s euch erzählt. Aber im Moment der Tragödie war Adelino wieder ein menschliches Wesen geworden, und der Onkel drückte ihm sogar die Hand. So verbrachten wir eine Stunde im Dunkeln zwischen den Fässern, in einem Geruch unzähliger Weinlesen, der uns ein bißchen zu Kopf stieg, und draußen krachten die Schüsse. Dann wurden die Salven spärlicher, das Krachen kam immer gedämpfter herauf. Wir begriffen, daß jemand auf dem Rückzug war, nur wußten wir noch nicht, wer. Bis wir dann schließlich durch ein Fenster, eben über unseren Köpfen, das zu einem Feldweg rausging, eine Stimme hörten, die im Dialekt sagte: ›Monssu, i’è d’la repubblica bele si?‹«
    » Was heißt das?« fragte Lorenza.
    »Na ungefähr: ›Mein Herr, würden Sie bitte die Freundlichkeit haben, mir zu sagen, ob wir uns hier noch in den Gefilden der Repubblica Sociale Italiana befinden?‹ In jenen Zeiten, müßt ihr wissen, war repubblica ein häßliches Wort.
    Ein Partisan hatte einen Passanten gefragt, oder jemanden, der zum Fenster raussah, und folglich war der Feldweg wieder passierbar geworden und die Faschisten hatten sich verdrückt. Es wurde allmählich dunkel. Nach einer Weile erschienen sowohl mein Vater wie meine Großmutter, um jeder sein Abenteuer zu erzählen. Meine Mutter und Tante 391
    Caterina machten etwas zu essen, während Onkel Carlo und Adelino Canepa wieder feierlich schwiegen. Den ganzen restlichen Abend lang hörten wir in den Hügeln noch ferne Schüsse. Die Partisanen verfolgten die Flüchtenden. Wir hatten gesiegt.«
    Lorenza küßte ihn auf die Haare, und Belbo schniefte. Er wußte, daß er bloß durch kämpfende Mittelspersonen gesiegt hatte. In Wirklichkeit hatte er nur einen Film gesehen.
    Doch für einen Augenblick, als er den Querschläger draußen im Flur riskierte, hatte er in dem Film mitgespielt. Nur eben mal rasch, wie in Hellzapoppin’, wenn die Rollen vertauscht werden und ein Indianer zu Pferd auf einem Tanzfest erscheint und fragt, wohin sie gelaufen sind, und jemand sagt
    »dahin«, und er verschwindet in eine andere Geschichte.
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    Im aufschwingen aber hat sie so kräfftig in ihr schöne Posaunen gestossen, das der gantze Berg
    davon erhallet, vnnd ich fast ein Viertelstund
    hernach mein eygen wort kaum mehr gehöret.
    Johann Valentin Andreae, Die Chymische Hochzeit Christiani Rosencreutz, Straßburg 1616, l, p. 4
    Wir waren beim Kapitel über die Wunder der Wasserlei-tungen, und in einem frühbarocken Stich aus den Spiritalia von Heron sah man eine Art Altar mit einem Roboter darauf, der — kraft einer sinnreichen Dampfvorrichtung — Trompete spielte.
    Ich brachte Belbo erneut auf seine Kindheitserinnerungen:
    »Aber sagen Sie, wie war das mit diesem Don Ticho Brahe oder wie der hieß, der Ihnen das Trompetespielen beigebracht hatte?«
    »Don Tico. Ich habe nie erfahren, ob das ein Spitzname war oder ob er wirklich so hieß. Ich bin nie mehr ins Oratorium gegangen. Hingekommen war ich per Zufall — die Messe, der Katechismus, die vielen Spiele, und wer gewonnen hatte, kriegte ein Bildchen des seligen Domenico Savio, jenes Burschen mit zerknitterten Hosen aus grobem Leinen, der bei den Statuen immer an die Soutane von Don Bosco geklammert steht, die Augen zum Himmel gerichtet, um nicht die Zoten zu hören, die seine Kameraden erzählen. Nun, ich entdeckte, daß Don Tico eine Blaskapelle zusammengestellt hatte, aus lauter Jungs zwischen zehn und vierzehn Jahren.
    Die Kleinen spielten Klarinette, Pikkoloflöte und Sopransa-xophon, die Größeren schafften das Bombardon und die Große Trommel. Sie hatten Uniformen, Khaki-Jacken und blaue Hosen, dazu Schirmmützen. Ein Traum, ich wollte da-beisein. Don Tico sagte, er könnte ein Baryton brauchen.«
    Belbo musterte uns überlegen und dozierte: »Das Baryton ist eine Art kleine Tuba, ähnlich dem eher bekannten Tenor-horn in B. Es ist das dümmste Instrument in der ganzen 393
    Kapelle. Es macht Umpa-Umpa-Umpapaa, wenn der Marsch losgeht, und nach dem Parapapaa-Parapapaa geht es zu raschen Stößen

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