Das Foucaultsche Pendel
ihn zu grüßen, und er fragte mich, ob ich nicht für einen Moment hereinkommen wollte. Ich hatte sein Laboratorium noch nie gesehen und folgte der Einladung.
Wenn hinter der Tür eine Wohnung gewesen war, mußte Salon die Trennwände entfernt haben lassen, denn was ich sah, war eine weite dämmrige Höhle. Aus unerfindlichen architektonischen Gründen hatte dieser Teil des Gebäudes ein Mansardendach, und das Licht fiel durch schräge Scheiben ein. Ich weiß nicht, ob die Scheiben schmutzig oder aus Mattglas waren oder ob Salon sie verhängt hatte, um das direkte Sonnenlicht abzuschirmen, oder ob es am Gedränge der Objekte lag, die allenthalben den Horror vacui verkünderen, jedenfalls lag die Höhle in einem fast abendlichen Dämmerlicht, auch weil der weite Raum unterteilt war durch breite Regale, wie man sie aus alten Apotheken kennt, hohe Möbel mit geschnitzten Säulen und Kolonnaden, die Durchblicke, Passagen und Perspektiven erlaubten. Die vorherr-526
schende Farbe war braun, braun waren die Gegenstände, die Regale und Tische, die diffuse Melange aus trübem Tageslicht und dem Schein jener alten Lampen, die einige Zonen fleckig erhellten. Mein erster Eindruck war, in die Werkstatt eines Geigenbauers getreten zu sein, die seit den Zeiten von Stradivari nicht mehr benutzt worden ist, so daß sich der Staub immer dicker auf alles gelegt hat.
Dann, als meine Augen sich langsam angepaßt hatten, begriff ich, daß ich mich, wie es nicht anders zu erwarten gewesen war, in einem erstarrten Zoo befand. Dort hinten kletterte ein kleiner Bär mit glänzenden Glasäugelchen auf einem künstlichen Ast, hier neben mir saß eine Eule reglos und feierlich, da vorn vor dem Tisch lief ein Wiesel — oder ein Marder, ein Iltis, was weiß ich —, und auf dem Tisch stand ein prähistorisches Tier, das ich im ersten Moment’
nicht erkannte, es sah aus wie eine Katze, die von Röntgenstrahlen durchleuchtet wurde.
Es hätte ein Puma sein können, ein Leopard, ein großer Hund, man sah das Skelett, das zum Teil mit einer strohigen Füllung beklebt war, die von einem Drahtgestell zusammengehalten wurde.
»Der Dobermann einer reichen Dame mit butterweichem Herzen«, erklärte Salon grinsend. »Sie möchte ihn so im Ge-dächtnis behalten, wie er in der Zeit ihres Ehelebens war.
Sehen Sie? Man zieht dem Tier das Fell ab, man behandelt das Fell auf der Innenseite mit arsenhaltiger Seife, dann legt man die Knochen frei und läßt sie bleichen... Sehen Sie dort in dem Regal die schöne Sammlung von Wirbelsäulen und Brustkörben... Schönes Ossarium, nicht wahr? Dann bindet man die Knochen mit Drähten zusammen, und ist das Skelett einmal rekonstruiert, packt man ein Gerüst mit der Füllung darauf, gewöhnlich verwende ich Heu oder Pappma-ché oder auch Gips. Am Ende zieht man das Fell darüber. Ich repariere die Schäden des Todes und der Verwesung. Sehen Sie diesen Waldkauz hier, sieht der nicht wie lebend aus?«
Von nun an würde mir jeder lebende Waldkauz wie tot erscheinen, von Signor Salon in ewige Starre versetzt. Ich sah diesem Mumifizierer tierischer Pharaonen ins Gesicht, betrachtete seine buschigen Augenbrauen, seine grauen Wangen und versuchte herauszufinden, ob er ein lebendes Wesen war oder ein Meisterwerk seiner eigenen Kunst.
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Um ihn besser betrachten zu können, trat ich ein paar Schritte zurück, und plötzlich spürte ich, wie mich etwas im Nacken berührte. Ich fuhr erschrocken herum und sah, daß ich ein Pendel in Bewegung gesetzt hatte.
Ein großer ausgeweideter Vogel stak pendelnd am Ende der Lanze, die ihn durchbohrte. Sie ging durch den Kopf hinein, und in der offenen Brust sah man, daß sie genau dort hindurchging, wo einst das Herz und der Magen gewesen waren, um sich dann aufzuspalten und als umgekehrter Dreizack fortzusetzen. Der etwas dickere mittlere Zacken durchquerte die Stelle, wo der Vogel die Eingeweide gehabt hatte, und zielte wie ein Schwert nach unten, die beiden seitlichen Spieße bohrten sich längs durch die Beine und kamen symmetrisch an den Krallen heraus. Der Vogel schwankte leicht, und die drei Zacken warfen ihren Schatten auf den Boden, wo er wie ein mystisches Zeichen erschien.
»Schönes Exemplar eines Königsadlers«, sagte Salon.
»Aber ich muß noch ein paar Tage daran arbeiten. Ich war gerade dabei, die Augen auszuwählen.« Er zeigte mir eine Pappschachtel voller Glasaugen, die aussah, als hätte der Folterknecht der heiligen Lucia die schönsten Trophäen seiner
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