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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Regierung schmiedete, und im Jahr darauf wurde der Orden verboten. Und nicht nur das, man publizierte auch Schriften von Weishaupt, Schriften mit den angeblichen Projekten der Illuminaten, die das ganze deutsche und französische Neutemplertum für ein Jahrhundert diskreditierten... Beachten Sie, daß Weishaupts Illuminaten höchstwahrscheinlich auf Seiten der jakobini-schen Freimaurer standen und sich in die neutemplerische Strömung eingeschleust hatten, um sie zu zerstören. Es war gewiß kein Zufall, daß jener böse Geist den Grafen Mirabeau, den Tribun der Revolution, auf seine Seite gezogen 518
    hatte. Darf ich Ihnen etwas im Vertrauen sagen?«
    »Bitte.«
    »Männer wie ich, die daran interessiert sind, die Fäden einer verlorenen Überlieferung wieder zusammenzuknüpfen, stehen verwirrt vor einem Ereignis wie dem Konvent zu Wilhelmsbad. Jemand muß da alles erraten, aber geschwiegen haben, jemand hat da Bescheid gewußt und gelogen.
    Und danach war’s zu spät, erst das revolutionäre Durcheinander, dann die klaffende Meute der Okkultisten...
    Schauen Sie sich Ihre Liste an, eine Kirmes der Gutgläubigkeit und der Betrügerei, Intrigen, gegenseitige Exkommunikationen, Geheimnisse, die in aller Munde sind. Das Theater des Okkultismus.«
    »Sie meinen, die Okkultisten sind nicht sehr vertrauenswürdig?« fragte Belbo.
    »Sie müssen den Okkultismus von der Esoterik unterscheiden. Die Esoterik ist die Suche nach einem Wissen, das sich nur durch Symbole tradiert, die für Nichteingeweihte versiegelt sind. Der Okkultismus hingegen, der sich im neunzehnten Jahrhundert ausbreitet, ist nur die Spitze des Eisbergs, das wenige, was vom esoterischen Geheimnis auftaucht. Die Templer waren Initiierte, und der Beweis dafür ist, daß sie, als sie gefoltert wurden, lieber starben, als ihr Geheimnis preiszugeben. Die Kraft, mit welcher sie es verbargen, macht uns ihrer Initiation gewiß und erfüllt uns mit Sehnsucht nach dem, was sie wußten. Der Okkultist hingegen ist ein Exhibi-tionist, und wie Péladan sagte, ein aufgedecktes Initiationsgeheimnis ist zu nichts mehr nütze. Leider war Péladan kein Initiierter, sondern bloß ein Okkultist. Das neunzehnte Jahrhundert ist das Jahrhundert der Angeberei. Alle bemühen sich unentwegt, irgendwelche Geheimnisse aufzudecken —
    die Geheimnisse der Magie, der Theurgie, der Kabbala, der Tarotkarten. Und womöglich glauben sie auch noch daran...«
    Agliè überflog den Rest unserer Liste, nicht ohne da und dort mitleidig zu lächeln. »Die arme Helena Petrowna. Eine brave Frau im Grunde, aber sie hat nichts gesagt, was nicht schon auf allen Mauern geschrieben stand... De Guaita, ein süchtiger Bibliomane. Papus, na wohl bekomm’s...«
    Dann stutzte er plötzlich.
    »Tres... Woher haben Sie das? Aus welchem Manuskript?«
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    Bravo, dachte ich, er hat den Zusatz bemerkt. Wir blieben vage: »Ach wissen Sie«, sagte ich, »die Liste ist beim Durchblättern verschiedener Texte zusammengestellt worden, und das meiste haben wir wieder gestrichen, weil’s wirklich Unsinn war. Wissen Sie noch, woher dieses Tres kam, Belbo?«
    »Glaube nicht. Du, Diotallevi?«
    »Och, das war schon vor Tagen... Ist das wichtig?«
    »Nein, nein, ganz und gar nicht«, versicherte uns Agliè.
    »Ich frage nur, weil ich es noch nie gehört habe. Wissen Sie wirklich nicht mehr, wer das zitiert hat?«
    Es tat uns sehr leid, wir konnten uns nicht erinnern.
    Agliè zog seine Uhr aus der Weste. »Mein Gott, ich habe ja noch eine andere Verabredung. Entschuldigen Sie mich.«
    Er eilte davon, und wir blieben noch, um die Lage zu diskutieren.
    »Jetzt ist alles klar. Die Engländer haben die Idee mit der Freimaurerei lanciert, um alle Initiierten in ganz Europa um Bacons Projekt zu versammeln.«
    »Aber das Projekt ist nur halb gelungen: die Idee der Baconianer war so faszinierend, das sie unerwartete Resultate erbrachte. Die sogenannte schottische Strömung mißverstand den neuen Geheimbund als eine Möglichkeit zur Rekonstruktion der unterbrochenen Abfolge und nahm Kontakt zu den deutschen Templern auf.«
    »Agliè findet die Sache unverständlich. Das ist klar. Nur wir können jetzt sagen, was passiert ist — was wir wollen, daß passiert sei. Also: die verschiedenen nationalen Gruppen geraten miteinander in Streit, ich würde nicht ausschlie-
    ßen, daß dieser Martines de Pasqually ein Agent der portugiesischen Gruppe ist, die Engländer desavouieren die Schotten, sprich die Franzosen, die Franzosen sind in

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