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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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ein Blatternfraß, ein unsägliches Nichts, ein einziger Hymnus an die Widerwärtigkeit, ich werde ins Verlies zurückkehren wie jene Flüchtlinge, die den Mut hatten, sich zu entstellen, um nicht wieder eingefangen zu werden.
    Ah! schreie ich, besiegt, und, wie der Erzähler sagt, von meinen zerfressenen Lippen löst sich ein Wort, ein Seufzer, ein Hoffnungs-schrei: Erlösung!
    Aber Erlösung wovon, alter Rocambole, du wußtest doch genau, daß du nicht versuchen durftest, ein Protagonist zu sein! Nun bist du bestraft worden, und zwar mit deinen eigenen Künsten.
    Du hast die Schreiber der Illusion verhöhnt, und jetzt — siehst du —
    schreibst du selber, mit dem Alibi der Maschine. Du redest dir ein, du wärst nur ein Zuschauer, weil du deine Worte auf dem Bildschirm liest, als wären es die eines anderen, aber du bist in die Falle gegangen, siehst du, jetzt willst du Spuren im Sand hinterlassen. Du hast es gewagt, den Text des Romans der Welt zu verändern, und nun holt dich der Roman der Welt in seine Texturen zurück und verwickelt dich in seine Intrigen, die du nicht entschieden hast.
    Ach, wärst du doch lieber auf deinen Inseln geblieben, Surabaya-Jim, und sie hätte dich für tot gehalten.
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    Die nationalsozialistische Partei tolerierte die Geheimgesellschaften nicht, da sie selber eine
    Geheimgesellschaft war, komplett mit eigenem
    Großmeister, eigener rassistischer Gnosis, eigenen Riten und eigenen Initiationen.
    René Alleau, Les sources occultes du nazisme, Paris, Grasset, 1969, p. 214
    Um diese Zeit etwa muß es gewesen sein, daß Agliè uns aus der Kontrolle glitt. Den Ausdruck hatte Belbo benutzt,
    »er gleitet uns aus der Kontrolle«, hatte er mit übertriebener Indifferenz gesagt. Ich schob es ein weiteres Mal auf seine Eifersucht: im stillen bedrückt von Agliès Macht über Lorenza, spottete er in Worten über die Macht, die Agliè über Garamond gewann.
    Vielleicht war es auch unsere Schuld gewesen. Seit fast einem Jahr war Agliè dabei, Garamond zu bezirzen, seit den Tagen der alchimistischen Fete auf dem Schloß in Piemont.
    Bald danach hatte Garamond ihm die Kartei der AEKs anvertraut, damit er sie nach neuen Opfern zum Mästen der Entschleierten Isis durchsuchte, und mittlerweile zog er ihn bei jeder Entscheidung zu Rate, sicher zahlte er ihm auch ein monatliches Fixum. Gudrun, die periodische Erkundungen am Ende des Korridors vornahm, jenseits der Glastür, die in das wattierte Reich von Manuzio führte, berichtete uns ab und zu in besorgtem Ton, Agliè habe sich im Büro der Signora Grazia praktisch eingerichtet, er diktiere ihr Briefe, empfange Besucher und führe sie in Signor Garamonds Arbeitszimmer, mit einem Wort — und vor lauter Empörung verlor Gudruns Aussprache noch ein paar Vokale mehr —, er benehme sich ganz wie der Chef. Wir hätten uns wirklich fragen können, wieso Agliè Stunden um Stunden über der Adressenkartei von Manuzio verbrachte. Er hatte genügend Zeit gehabt, die AEKs zu herauszufinden, die sich als neue Autoren für die Entschleierte Isis anwerben ließen. Trotz-607
    dem fuhr er fort zu schreiben, zu kontaktieren, zu organisieren. Im Grunde aber bestärkten wir seine Autonomie, denn die Lage kam uns durchaus zupaß.
    Sie kam Belbo zupaß, denn mehr Agliè in der Via Marchese Gualdi hieß weniger Agliè in der Via Sincero Renata und somit weniger Möglichkeiten, daß gewisse unverhoffte Besuche von Lorenza Pellegrini (über die Belbo immer glühender errötete, ohne noch irgendeinen Versuch zu machen, seine Erregung zu verbergen) durch das plötzliche Auftauchen von »Simon« gestört wurden.
    Die Lage kam auch mir zupaß, da ich die Lust an der Entschleierten Isis inzwischen verloren hatte und immer mehr von meiner Geschichte der Magie beansprucht wurde. Von den Diabolikern glaubte ich alles gelernt zu haben, was ich von ihnen lernen konnte, und so überließ ich Agliè gern die Pflege der Kontakte (und der Kontrakte) mit den neuen Autoren.
    Auch Diotallevi hatte schließlich nichts gegen die Lage, da ihm die Welt überhaupt immer weniger zu bedeuten schien.
    Jetzt, wenn ich daran zurückdenke, wird mir bewußt, daß er von Tag zu Tag weiter abnahm, in besorgniserregender Weise, manchmal überraschten wir ihn in seinem Büro, wie er über ein Manuskript gebeugt dasaß, reglos ins Leere starrend, während der Stift ihm fast aus der Hand fiel. Er war nicht eingeschlafen, er war nur erschöpft.
    Es gab aber noch einen anderen Grund, warum wir es

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