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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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hinnahmen, daß Agliè immer seltener erschien, um uns nur rasch die Manuskripte zurückzugeben, die er abgelehnt hatte, und gleich wieder durch den langen Korridor zu verschwinden. In Wirklichkeit wollten wir nicht, daß er unsere Gespräche mit anhörte. Hätte man uns gefragt, warum nicht, hätten wir gesagt: aus Scham — oder auch aus Zartgefühl, schließlich parodierten wir Metaphysiken, an die er in gewisser Weise glaubte. Tatsächlich war’s eher aus Mißtrauen, wir hüllten uns mehr und mehr in die natürliche Reserviert-heit derer, die sich im Besitz eines Geheimnisses wissen, und stießen Agliè ins profane Volk zurück — wir, die wir nun langsam und immer weniger lächelnd kennenlernten, was wir erfunden hatten. Im übrigen, wie Diotallevi einmal in einem gutgelaunten Augenblick sagte: Jetzt, wo wir einen echten Saint-Germain hatten, wußten wir nicht mehr, was 608
    wir mit einem vorgeblichen Saint-Germain anfangen sollten.
    Agliè schien sich über unsere Zurückhaltung nicht zu grä-
    men. Er grüßte uns sehr elegant und verzog sich. Mit einer Anmut, die schon an Hochmut grenzte.
    Eines Montagmorgens war ich spät in den Verlag gekommen, und Belbo, schon ungeduldig wartend, hatte mich gleich in sein Büro gebeten, zusammen mit Diotallevi. »Gro-
    ße Neuigkeiten«, hatte er gesagt. Er wollte gerade anfangen zu sprechen, da kam Lorenza hereingewirbelt. Belbo war hin- und hergerissen zwischen der Freude über ihren Besuch und der Ungeduld, uns seine Entdeckungen mitzuteilen.
    Gleich darauf klopfie es, und Agliè streckte den Kopf herein:
    »Bleiben Sie sitzen, ich will Sie nicht inkommodieren, ich habe nicht die Macht, ein solches Konsistorium zu stören.
    Ich wollte nur rasch der lieben Lorenza sagen, daß ich drü-
    ben bei Signor Garamond bin. Und ich hoffe doch wenigstens noch so viel Macht zu haben, sie zu einem Sherry um zwölf in mein Büro einzuladen.«
    In sein Büro. Diesmal verlor Belbo die Kontrolle. Jedenfalls so, wie er die Kontrolle verlieren konnte. Er wartete, bis Agliè draußen war, und knurrte dann zwischen den Zähnen:
    »Ma gavte la nata.«
    Lorenza, die noch bei ihren komplizenhaften Begrüßungsgesten war, fragte ihn, was das heiße.
    »Das ist Turinerisch. Heißt soviel wie: Zieh dir mal den Pfropfen raus, oder wenn du’s so lieber hast: Wollen Sie sich bitte gütigst den Stöpsel entfernen. Angesichts einer steif und geschwollen daherredenden Person nimmt man an, daß sie von ihrem eigenen Dünkel aufgeblasen sei, und zugleich unterstellt man, daß diese übermäßige Selbsteinschätzung den geblähten Leib nur kraft eines Pfropfens so prall erhalte, eines korkenähnlichen Stöpsels, der, in den After eingeführt, verhindert, daß diese ganze aerostatische Würde einfach verpufft; dergestalt, daß man mit der Aufforderung an das Subjekt, sich besagten Stöpsels per Extraktion zu entledigen, dieses dazu verurteilen will, sein eigenes Erschlaffen herbeizuführen, ein jähes und irreversibles Zusammenschnurren, nicht selten begleitet von scharfem Zischen, mit Reduktion der verbleibenden Hülle zu einem traurigen Rest, einem blassen Abbild und blutleeren Schatten der einstigen Majestät.«
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    »Ich dachte nicht, daß du so vulgär sein kannst.«
    »Jetzt weißt du’s.«
    Lorenza war mit gespieltem Ärger gegangen. Ich wußte, daß Belbo darunter noch mehr litt: eine echte Wut hätte ihn befriedigt, eine gespielte brachte ihn auf den Gedanken, daß bei Lorenza auch die Anflüge von Leidenschaft immer nur Theater waren.
    Und deswegen, glaube ich, sagte er nun mit Entschiedenheit, kaum daß sie draußen war: »Also machen wir weiter!«
    Was heißen sollte: Basteln wir weiter am Großen Plan, arbeiten wir ernsthaft.
    »Ich hab keine Lust«, sagte daraufhin Diotallevi. »Ich fühl mich nicht wohl. Ich hab Schmerzen hier«, und er faßte sich an den Bauch. »Scheint eine Gastritis zu sein.«
    »Ach nein!« rief Belbo. »Du hast eine Gastritis, und ich hab keine... Wovon hast du denn Gastritis gekriegt? Vom Mineralwasser?«
    »Schon möglich«, sagte Diotallevi mit müdem Lächeln.
    »Gestern abend hab ich’s übertrieben. Ich bin an Fiuggi ge-wöhnt und hab San Pellegrino getrunken.«
    »Na, paß bloß auf, solche Exzesse können dich umbringen.
    Aber laß uns jetzt weitermachen, seit zwei Tagen brenne ich drauf, euch zu erzählen, was ich entdeckt habe. Ich weiß endlich, warum die Sechsunddreißig Unsichtbaren seit Jahrhunderten nicht in der Lage sind, die Form der Karte zu

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