Das Foucaultsche Pendel
aber kaum waren sie ausgestiegen, entdeckten sie, daß sein Bauch rot von Blut war, mit seltsamen rosa Sachen (Schamteilen? Eingeweiden?), die heraus-kamen, und daß er geifernd jaulte. Schon kamen Dörfler gelaufen, es bildete sich ein kleiner Volksauflauf. Belbo fragte, wem der Hund gehöre, er würde den Schaden bezahlen, aber der Hund war offenbar herrenlos. Er mochte vielleicht zehn Prozent der Bevölkerung dieses gottverlassenen Kaffs repräsentieren, aber niemand wußte, wohin er gehörte, obwohl ihn alle vom Sehen kannten. Jemand meinte, man sollte den Maresciallo der Carabinieri holen, der würde das arme Vieh mit einem Schuß von seinen Leiden befreien.
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Man suchte noch nach dem Maresciallo, da erschien eine Dame, die sich als tierlieb bezeichnete. Ich habe sechs Katzen, sagte sie. Wie schön, sagte Belbo, aber dies hier ist ein Hund, er liegt im Sterben, und ich hab’s eilig. Hund oder Katze, haben Sie doch ein bißchen mehr Herz für die Tiere, schalt ihn die Dame. Nix da mit dem Maresciallo, man müs-se jemanden vom Tierschutzverein holen gehen, oder jemanden aus der Klinik im nächsten Städtchen, vielleicht sei das Tier noch zu retten.
Die Sonne brannte auf Belbo, auf Lorenza, auf das Auto, auf den Hund und die Umstehenden herab und wollte gar nicht mehr aufhören, auf sie herabzubrennen, Belbo kam sich vor wie in einem bösen Traum, als wäre er in Unterhosen auf die Straße gelaufen, aber es gelang ihm nicht aufzu-wachen, die Dame gab nicht nach, der Maresciallo war unauffindbar, der Hund blutete weiter und japste mit leisem Gefiepse. Er winselt, sagte Belbo, und die Dame, na sicher, na sicher winselt er, er leidet, der arme Hund, hätten Sie denn nicht auch besser aufpassen können? Das Dorf erlebte allmählich einen demographischen Boom, Belbo, Lorenza und der Hund waren das Spektakel dieses tristen Sonntagnachmittags. Ein kleines Mädchen mit einem Eis am Stiel trat vor und fragte, ob sie die Leute vom Fernsehen wären, die den Wettbewerb um die Miss Appennino Ligure organisierten, Belbo fauchte sie an, sie solle sich wegscheren, sonst würde er sie so zurichten wie den Hund, und das Mädchen fing an zu heulen. Da kam der Gemeindearzt und sagte, das Mädchen sei seine Tochter, und Belbo fragte ihn ahnungslos, wer denn er sei. Bei einem raschen Austausch von Entschuldigungen und gegenseitigem Vorstellungen kam dann heraus, daß der Arzt ein Tagebuch eines Landarztes in dem be-rühmten Mailänder Verlag Manuzio veröffentlicht hatte.
Belbo ging in die Falle und sagte, er sei Cheflektor bei Manuzio, woraufhin der Doktor nun unbedingt wollte, daß er und Lorenza zum Essen blieben. Lorenza schäumte und stieß Belbo den Ellbogen in die Rippen, Herrgott, nachher kommen wir noch in die Zeitung, das diabolische Liebespaar, konntest du nicht das Maul halten?!
Die Sonne brannte noch immer heiß, als die Kirchenglok-ken zur Vesper läuteten (wir sind in Ultima Thule, knurrte Belbo, sechs Monate Sonne, von Mitternacht bis Mitternacht, 654
und meine Zigaretten sind alle), der Hund litt nur noch still vor sich hin, und niemand achtete mehr auf ihn, Lorenza meinte, er hätte einen Asthma-Anfall, und Belbo war jetzt sicher, daß der Kosmos ein Irrtum des Demiurgen sein muß-
te. Schließlich hatte er die Idee, sie beide, er und Lorenza, könnten doch mit dem Wagen rasch ins nächste Städtchen fahren, um Hilfe zu holen. Die tierliebe Dame war einverstanden, jaja, sie sollten losfahren und sich beeilen, zu einem Herrn, der in einem Verlag für Poesie arbeitete, hatte sie Vertrauen, auch sie las so gern die Gedichte von Marino Moretti.
Belbo war losgefahren und hatte zynisch die nächste Ortschaft durchquert, ohne anzuhalten, Lorenza verfluchte alle Tiere, mit denen der Herr die Erde befleckt hätte, vom ersten Schöpfungstag bis zum fünften einschließlich, Belbo war einverstanden, wollte jedoch unbedingt auch das Werk des sechsten Tages kritisieren, und vielleicht auch die Ruhe des siebenten, denn er fand, dies sei der schlimmste Sonntag, den er je erlebt habe.
Sie hatten angefangen, den Apennin zu durchqueren, aber während es auf den Karten problemlos aussah, brauchten sie viele Stunden dafür und mußten auf die Pause in Bobbio verzichten und kamen bei Einbruch der Dunkelheit nach Piacenza. Belbo war müde, er wollte mit Lorenza nun wenigstens schön zu Abend essen und nahm ein Doppelzimmer in dem einzigen noch nicht vollbesetzten Hotel, nahe am Bahnhof. Als sie in das Zimmer traten, erklärte
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